Epilog 2

 

Zwei Wochen vor der Unterhaltung, die Haruko belauscht hat

 

 

 

Es funktioniert, Herr”, raunt die bucklige Kreatur begeistert. Fast wäre er auf und ab gehüpft, kann sich jedoch nach einem Blick in die feurig rot glühenden Augen seines Meisters beherrschen. Sein Glück, ansonsten hätte er wohl im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf verloren.

 

Plötzlich beginnt sich das Wesen auf dem Tisch zu regen. Es sind eher krampfhafte Zuckungen, die das baldige Erwachen ankündigen, denn zielgerichtete Bewegungen. Dennoch fasziniert es den Buckligen ungemein. Unter der beinahe schneeweißen Haut spielen gewaltige Muskeln, die Fesseln knarzen beunruhigend.

 

Sicherheitshalber geht sein Meister ein Stück zurück, der Bucklige tut es ihm gleich. Nun öffnet das Etwas die Augen. Sie sind leuchtend rot. Die Pupillen sind auf das Maximum geweitet, durch das Weiße in den Augen der Kreatur, die aussieht, als hätte sie noch nie das Sonnenlicht gesehen, ziehen sich unzählige rote Adern. Nicht ein Haar durchstößt die weiße Haut.

 

Die Kreatur stößt ein markerschütterndes Brüllen aus, erfüllt von Wut und Hunger, gewaltigem, unstillbarem Hunger. Wie von Sinnen reißt es an den Fesseln, die wie durch ein Wunder halten. Es reckt sich immer wieder in Richtung des Meisters und des Buckligen. Gierig schnappen die Kiefer nach ihnen, es versucht, sie bei lebendigem Leibe zu verschlingen.

 

„Noch wissen wir es nicht genau“, widerspricht sein Meister, fasziniert die Kreatur betrachtend. Die Stimme ist dunkel, füllt den gesamten Raum aus und zeugt von Grausamkeit, Skrupellosigkeit und der Gier nach Macht. Dennoch scheint so etwas, wie freudige Erwartung in ihr mitzuschwingen, und obwohl sich für gewöhnlich niemand dieser Stimme zu entziehen vermag, scheint die Kreatur sie nicht einmal wahrzunehmen. Noch immer ist sie mit dem Versuch beschäftigt, an ihr Fleisch zu kommen.

 

„Hol die Frau her!“

 

Sogleich huscht der Bucklige erstaunlich behände davon und verschwindet durch eine kleine Seitentür.

 

Ein leiser Lufthauch strömt aus dem dunklen Gang, in den der Bucklige verschwunden war. Er trägt den Geruch von Verzweiflung, Qual und Trauer mit sich. Genüsslich bläht der Meister die Nasenflügel, versucht, den Geruch in sich aufzunehmen.
Die Kreatur scheint der Geruch dagegen regelrecht rasend zu machen. Geifer tropft aus dem Mund der Kreatur, die Zähne sind gebleckt. wie irre rollen die Augen in den Höhlen.

 

Obwohl der Meister gerne näher herangehen würde, versagt er sich das und weicht stattdessen sogar etwas zurück. Nicht, dass es in der winzigen Kammer, deren Wände dank der Regale voller Kräuter, Tinkturen, Tränken und Folterwerkzeugen überquellen nicht mehr zu sehen sind, irgendeine Rückzugsmöglichkeit geben würde. In der Mitte des Raumes steht ein Tisch, der dadurch, dass er aus Stein gemacht ist, eher wie ein zwergisches Grab oder wie ein Altar aussieht. Letzterer Eindruck wird durch das getrocknete Blut, das den Tisch umgibt, noch verstärkt.

 

Wieder bäumt sich die Kreatur auf, die Lederfesseln, die durch eiserne, in den Stein eingelassene Ringe geführt sind, spannen sich bedrohlich.

 

Nun kommt der Bucklige wieder hereingeschlichen, eine Frau vor sich her stoßend, die man, würde sich jemand die Mühe machen, die mehrere Zoll dicke Schmutzschicht abzuwaschen, als Schönheit erkennen würde.

 

Als sie die Kreatur erblickt, weiten sich ihre haselnussbraunen Augen und sie reißt sich von dem Buckligen los. Der Bucklige will sie zurückhalten, doch sein Meister bedeutet ihm, innezuhalten. „Ich will wissen, was passiert.“ Interessiert beobachtet er, wie die Frau mit einem „Oh Eru, was haben sie mit dir gemacht?“ auf den Lippen auf die Kreatur zustürzt und vor dem Altar auf die Knie fällt.

 

Die Kreatur antwortet, indem sie sich, einen durchdringenden Laut ausstoßend, zu ihr lehnt, den Mund öffnet, als wolle es etwas sagen und dann die gelb-braunen Zähne in dem Gesicht der jungen Frau vergräbt, wie von Sinnen an der Haut zerrt und reißt. Diese will schreien, doch es kommt nur ein Gurgeln heraus, dass mit Leichtigkeit von dem widerlichen Geräusch übertönt wird, mit dem die Kiefer der Kreatur ihre Nase zermahlen, um sie danach genüsslich zu fressen.

 

Als die Kreatur die junge Frau wieder freigibt, hat sie kein Gesicht mehr, nur noch eine blutende, formlose Masse ohne Nase und Lippen. Sie taumelt zurück, stürzt, krabbelt auf allen vieren von dem steinernen Tisch fort.

 

„Fessle sie“, befiehlt der Meister ungerührt. Sogleich eilt der Bucklige wieder los und kommt dann kurz darauf mit einer schweren Eisenkette, sowie Hand- und Fußfesseln zurück. An der Eisenkette ist eine Art Halsband befestigt, dass er dem schluchzenden Bündel nun anlegt und das andere Ende an einem weiteren Ring in dem Steintisch befestigt. Dann legt er ihr die Fesseln an, auch dies scheint sie kaum wahrzunehmen. Stattdessen vergräbt sie die blutigen Hände in ihren zottligen, verklebten Haaren. Als sie sie wieder wegnimmt, hält sie Büschel ihres eigenen Haares in den Händen.

 

Ihre Haut wir bleicher, bis sie der der Kreatur gleicht.

 

Als sie nun die Augen wieder öffnet, sieht der Bucklige eine rote Iris umgeben von einem gleichfarbigen Netz  aus Adern…