Kapitel 10

Frische Waldluft...

 

Seit meiner Ankunft in Imladris sind nun bereits sechs Wochen vergangen und ich habe mich gut eingelebt, was nicht zuletzt an Glorfindel, Lirulin und ein wenig auch an dem ewig missgelaunten Erestor liegt. Inzwischen betrachte ich Imladris als mein Zuhause, obwohl ich immer noch meine alten Freunde vermisse, was sich jedoch auch nicht ändern wird. Mittlerweile verdiene ich mir etwas Geld indem ich Glorfindel bei der Ausbildung von Rekruten helfe.

 

„Sieg!“, triumphiere ich und berühre mit der stumpfen Spitze des Übungsschwertes die Kehle meines Gegners. In den Übungskämpfen mit jüngeren Rekruten sind scharfe Schwerter (und auch alle sonstigen tödlichen Waffen) verboten. So musste ich meine Schwerter in meiner Wohnung lassen. Dank Glorfindel habe ich nun zwei, denn als ich ihn bat, mich etwas zu trainieren, sah er sich mein Schwert an und war schockiert. „Wie konntest du dich damit durchschlagen?!“, mit diesen Worten packte er mich und zerrte mich zur Schmiede, wo ich meine Wünsche auf ein Blatt Pergament zeichnen sollte. Nun habe ich zwei Schwerter, beide identisch. Sie sind schlicht und elegant. Die Schwerter sind so konstruiert, dass man sie an den Griffen miteinander verbinden kann, so, dass man eine Art „Doppelschwert“ erhält. Und das wichtigste: Die Schneiden sind unglaublich scharf und die Klingen sind aus vielfach gehärtetem Stahl, geschmeidig und nicht im Ansatz spröde.

 

Ich nehme das Übungsschwert von dem Hals des jungen Elben und reiche ihm stattdessen die Hand, um ihm aufzuhelfen. Dankbar nimmt Faron die Hilfe an und lässt sich von mir auf die Füße ziehen.

 

„Du hast gut gekämpft“, lobe ich ihn mit einem kameradschaftlichen Schulterklopfen und lächle ihn freundlich an.

 

„Danke“, erwidert er, ebenfalls lächelnd.

 

Der junge Elb hat rötliche Haare, ist schmal gebaut und hat eine ungewöhnlich dunkle Haut, die von seiner Jugend in Mithlond als Sohn eines Schiffbauers erzählt. Ein Handwerk, dass ihm die wirklich gelegen hatte, weshalb sein Vater ihn nach Imladris geschickt hatte, wo er sich als Krieger ausbilden lassen konnte.

 

Mit einem Kopfnicken wende ich mich ab und gehe zum Waffenständer.

 

Kurz bevor ich dort ankomme bleibe ich noch einmal kurz stehen und drehe mich um.

 

„Glorfindel“, brülle ich quer über den Platz. Sofort dreht er sich um. „Brauchst du mich noch?“, frage ich in derselben Lautstärke.

 

„Das Training geht noch `ne halbe Stunde. Kannst du noch so lange bleiben?“

 

„Klar“

 

Wir zeigen den neuen Rekruten einige neue Techniken und lassen sie diese ausprobieren. Einige unserer Schüler sind erschreckend jung und gehören meiner und auch Glorfindels Meinung nach nicht hierher, sondern nach Hause. Teilweise scheinen sie nicht einmal ganz den Kinderschuhen entwachsen zu sein.

 

Ein weiteres Mal schafft es Tavaron über seine eigenen Füße zu stolpern und sich dabei fast mit seinem eigenen Schwert aufzuspießen. Seufzend gehe ich zu ihm und helfe ihm auf. Zum Glück hat er sich nicht verletzt. Leicht genervt erkläre ich ihm zum vierten Mal Schritt für Schritt was er zu tun hat. Er ist eindeutig noch nicht erwachsen, und ich wage es nicht mir vorzustellen, was passiert, wenn er wirklich kämpfen müsste. Der Junge zeigt bedauerlich wenig Geschick im Umgang mit Nahkampfwaffen. Es war schon ein kleines Wunder, dass er weiß, wo bei einem Schwert vorne und wo hinten ist. Was jemanden wie ihn hier her verschlagen hat, gibt mir ein Rätsel auf, dass sich nicht wie das letzte mir dem Fund von zwei Verkaterten Elben auf dem Sofa aufklären lassen will.

 

Nach dem Training verabschiede ich höflich von Glorfindel und eile zu meiner Wohnung.
Ich schlüpfe aus meiner Trainingskleidung und suche mir halbwegs zusammenpassende Kleidung heraus. Dass noch jede Menge Hosen, Hemden und Tuniken großzügig im Zimmer verteilt herumliegen, ignoriere ich gekonnt. Ich habe mir schon vor Wochen vorgenommen aufzuräumen, hatte es aber jedes mal auf morgen verschoben und ich weiß ganz genau, dass mir morgen auch ein Grund einfallen würde, es nicht zu tun - wie immer. Irgendwann, ja, irgendwann! Bis dahin lebe ich nach meinem Lieblings Motto – was du heute kannst besorgen, verschiebe ruhig auf morgen.

 

Da immer mehr Orks gesichtet wurden, nehme ich auch mein Schwert mit auf den geplanten Ausflug, nur zur Sicherheit, hoffend, damit die Valar nicht auf dumme Ideen zu bringen, wie mir eine Horde Orks aufzuhalsen.

 

So ausgerüstet marschiere ich in den Stall, wo mich einer der Stallburschen mit einem freundlichen Lächeln begrüßt.

 

„Hey Großer“ flüstere ich Schotaker ins Ohr, bevor ich ihn aus seiner Box lasse, mich auf seinen Rücken schwinge und aus dem Stall reite.

 

Übermütig stürmt der Hengst los und ich genieße den wilden Ritt, nicht auf die Umgebung achtend. Mit einem befreiten Lachen schließe ich die Augen, lehne mich zurück und breite die Arme wie Flügel aus, vollkommen darauf vertrauend, dass Schotaker schon weiß, wo er hin muss – was sich im Nachhinein als Fehler entpuppt, als ich dadurch, dass Schotaker unvermittelt stoppt, fast von seinem Rücken gepurzelt wäre. Vor uns ragt die steile Felswand auf, die Imladris zu drei Seiten umschließt.

 

Nachdem ich mich kurz orientiert habe, stelle ich fest, dass wir etwa drei Meilen nördlich des Wegs sind, der in Serpentinen aus der Schlucht herausführt.

 

Leise seufze ich. Schotaker schnaubt entschuldigend und stupst mein Bein an. „Schon gut Junge, kann ja jedem mal passieren“, versuche ich ihn aufzumuntern und gebe dem Mustang mit leichtem Schenkeldruck zu verstehen, dass er umkehren soll, doch der schnaubt nur wiederwillig.

 

Prüfend taxiert er die Steinwand und geht dann langsam rückwärts, immer die Felsen betrachtend. Erst als er wieder stehenbleibt, verstehe ich und lehne mich so weit nach vorne bis ich fast auf seinem muskulösen Hals liege, um so seinen Rücken weitestgehend zu entlasten. Ein kurzes, dankbares Schnauben, dann stürmt er los, auf die Felswand zu.

 

Mit einem großen Satz springt er auf einen kleinen Felsvorsprung und beginnt zu klettern wie ein Steinbock. Um ihm die Tortur zu erleichtern, gehe ich so gut wie möglich mit seinen Bewegungen mit. Schnaufend erklimmt er den letzten Yards und bleibt mit stolz gerecktem Hals stehen.

 

Ein Elb, der einen Wagen mit Stoffen lenkt, starrt uns erstaunt an. Erst sieht er mich mit aufgerissenen Augen an, dann Schotaker, der mit geblähten Nüstern und feurigem Blick zurückstarrt, dann zur Schlucht und wieder zu uns. Der Kutscher schluckt sichtbar und murmelt kaum hörbar: „Elbereth, i Rocco!“ (Elbereth, dieses Pferd!)

 

Besagtes Pferd lässt ein amüsiert klingendes Schnauben vernehmen.

 

Mit einem charmanten Lächeln nicke ich dem Kutscher grüßend zu und wende Schotaker mit einem sanften Schenkeldruck. Im kurzen Galopp erreichen wir bald den breiten Weg oberhalb der Schlucht, der in einen Wald führt.

 

Ich bedeute meinem treuen Gefährten stehen zu bleiben und werfe einen Blick in die Schlucht, aus der wir grade kamen. Tief unter mir kann ich die weißen Brücken und eleganten Gebäude ausmachen. Das Gefühl eines Déjà-vu überkommt mich. Genau hier stand ich mit Glorfindel, als ich zum ersten Mal in meinem Leben Imladris zu Gesicht bekam. Inzwischen könnte man meinen, ich hätte mich an den Anblick gewöhnt, doch es verschlägt mir noch immer jedes Mal den Atem, wenn ich die kunstvollen Reliefs und luftigen Bauwerke genauer betrachte.

 

Mühsam reiße ich mich von dem Anblick los und lenke Schotaker auf den Weg der in den Wald führt.

 

Lautes Vogelgezwitscher empfängt uns als wir in den grünen Halbschatten des Waldes eintauchen. Genüsslich atme ich die klare, leicht nach Moder, verfaulten Blättern, Erde und Blumen riechende Luft ein. Der typische, mir von Kindesbeinen an vertraute Duft des Waldes.

 

Aus den Augenwinkeln bemerke ich eine leichte Bewegung. Eine junge Ricke verlässt mit ihrem Kitz den Schutz des Waldes und betritt, mich wachsam beäugend, den Weg. Witternd reckt Schotaker den Hals. Neugierig betrachtet das eigentlich so scheue Tier den Hengst und schreckt auch nicht zurück, als dieser einige zögerliche Schritte auf sie zu macht. Mit langsamen Bewegungen mache ich sie auf mich aufmerksam ohne sie zu erschrecken, wobei ich in der lieblichen Sprache der Elben auf sie einredee: „Mae govannen nin bân. Im Sureto. Man Tîn-ch? Gar-ch yando i sanda? (schön dich zu treffen, hier auch verwendet als sei gegrüßt, meine Schöne. Wer bist du? Wie heißt du?)

 

Während ich leise mit beruhigender Stimme weiterspreche, lasse ich mich von Schotakers Rücken gleiten und gehe langsam auf sie zu. Wachsam legt sie den hübschen Kopf schief und die Ohren an, weicht aber nicht zurück. Die Handflächen nach oben gekehrt hebe ich die Hände und lasse sie daran schnuppern. Nach dem sie mich sorgfältig untersucht hat, stupft sie mich auffordernd mit dem Maul an und ich kraule vorsichtig das weiche Fell an ihrer Stirn. Genießerisch schließt sie die Augen und lässt träge die Ohren spielen, während sie sich leicht gegen meine Hand lehnt.

 

Verdutzt schaue ich an mir herab als mich plötzlich etwas am Bein an stupst. Es ist das Kitz, das auch etwas von meiner Aufmerksamkeit ergattern will. Als ich nicht sofort reagiere, schnappt Tier mit den viel zu langen, schlaksigen Beinen nach meiner Tunika und zieht daran. Lachend hocke ich mich hin und kuschle mit dem aufgeregten Kitz unter dem aufmerksamen, aber nicht zu misstrauischen Blick der Ricke.

 

Mit einem Mal wandelt sich die entspannte Stimmung. Die vorher entspannt dastehende Ricke spannt sich an und hebt mit einem leicht panischem Blick den Kopf witternd in die Luft. Auch das Kitz erstarrt und sieht ängstlich zu seiner Mutter die ein Bellen erklingen lässt, woraufhin das Kitz und die Ricke im gestreckten Galopp wieder im Wald verschwinden.

 

Der ganze Wald scheint plötzlich wie erstarrt. Kein Vogel singt, kein Tier raschelt im Unterholz, keine Tierlaute, selbst das leise Flüstern der Bäume ist verstummt. Nur von fern erklingt das Heulen eines Wolfes, doch es ist so von Hass, Grausamkeit und Dunkelheit erfüllt, dass mir unwillkürlich ein eiskalter Schauder den Rücken hinunterläuft.

 

Aus Schotakers Richtung erklingt ein panisches Wiehern, das mich aus meiner Starre holt. Ich renne zu ihm und schwinge mich auf seinen Rücken. Noch bevor ich richtig oben bin dreht er schon ab und prescht querfeldein in den Wald.

 

Mehr als einmal kann ich mich erst im letzten Augenblick ducken, um zu verhindern, dass ich einen dicken Ast ins Gesicht bekomme. Dünne Äste verfangen sich in meinen Haaren und in der Kleidung. Ein anderer streift meine Wange und hinterlässt einen weiteren blutigen Striemen.

 

Ein weiteres Mal schimpfe ich mich eine Närrin. Wie konnte ich bloß meinen Bogen vergessen? Und das, obwohl ich wusste, dass es hier Orks gibt, und dazu kommt, dass, wenn es in einem Umkreis von 100 Meilen auch nur drei Orks gibt, ich garantiert mit ihnen zusammenstoßen würde. Ich muss endlich herausfinden, welchem Valar ich so auf die Füße getreten bin. Außerdem hatte ich doch gewusst, dass ich mein Schicksal herausfordere, wenn ich meine Schwerter mitnehme! Die Geister der Dakota sind nie so rachsüchtig gewesen.

 

Ein weiteres Heulen erschallt, das eindeutig von einem  Warg stammt, dem bevorzugten Reittier der Orks. Diesmal kommt es jedoch aus der Nähe. Aus einer anderen Richtung kommt die Antwort eines weiteren Warges. Dann noch ein Heulen, diesmal aus Westen. Erschrocken stelle ich fest, dass wir in der Falle sitzen, von Norden, Süden und Westen kommen Orks mit ihren Wargen und im Osten ist Imladris, was an sich durchaus nicht schlecht ist, wäre die Schlucht an dieser Stelle nicht besonders steil.

 

Schotaker wirbelt abermals herum und hält nun direkt auf den Abhang zu. Panisch versuche ich, ihn zu bremsen, doch er reagiert nicht auf meine Bemühungen, so dass mir nichts anderes übrigbleibt, als mich an ihm festzuhalten und auf seine Vernunft zu hoffen.

 

Auf einmal brechen wir aus dem Wald und die Schlucht kommt wenige Yards vor uns in Sicht. Schotaker wiehert entsetzt und bäumt sich halb auf in dem Versuch, sein noch immer mörderisches Tempo zu drosseln.

 

Dennoch schliddern rasanten Tempo wir auf die Kante zu, als sich Schotaker zur Seite wirft und nun mit dem gesamten Körper auf dem Boden - und auf meinem Bein – liegt. Ungeachtet dessen rutschen wir einfach weiter, während der Hengst sich mehrmals überschlägt und herumschleudert. Nur knapp und mit vielen gewagten Manövern gelingt es mir, nicht unter seinen massigen Körper zu geraten

 

Und dann ist es plötzlich vorbei. Schwer atmend und zitternd bleiben wir auf dem Boden liegen.

 

Benommen hebe ich nach einem Moment den Kopf und stelle fest wie knapp es war. Schotakers Hinterbeine und seine Kruppe ragen bereits über den Abgrund. Erschrocken reiße ich die Augen auf und springe auf, wodurch das Tier ein Stück weiter auf den Hang zu rutscht. Schotaker wiehert schrill, ein Laut voll blanker, nackter Todesangst.

 

Mit geübtem Griff löse ich den Verschluss meines Umhangs und schlinge diesen um den Unterbauch des panischen Tieres. Vorsichtig beginne ich zu ziehen, wobei Schotaker mich unterstützt wo er kann. Nur der guten Elbischen Handarbeit ist es zu verdanken, dass der Stoff nicht einfach reißt.

 

Kurz bevor er endgültig in Sicherheit ist, entgleitet der Umhang meinen verschwitzten Fingern. Mit einem schrillen Laut sackt der schwere Leib wieder ein Stück zurück. Hastig pack ich erneut die Enden meines Umhangs und beginne von neuem zu ziehen.

 

Ein letzter Ruck und der Hengst liegt endgültig auf der Klippe. Vor Anstrengung, Erleichterung und Angst keuche ich laut uns lasse mich neben ihm zu Boden sinken, als mich ein Heulen hochfahren lässt. Auch Schotaker steht wieder auf den Beinen, ich schwinge mich auf seinen Rücken und treibe ihn mangels Alternativen zurück in den Wald, der mir mit einem Mal düster und bedrohlich erscheint.

 

Ein Schatten springt aus dem Unterholz. Schotaker wirft sich herum und der Warg verfehlt uns knapp. Ich nutze die kurze Pause, in der der Mordor-Wolf sich nach verwirrt nach seiner Beute umsieht und dann zum nächsten Sprung ansetzt, um mein Schwert zu ziehen.

 

Der gigantische Wolf springt erneut vor. Der Hengst ihm ein weiteres Mal aus und gibt mir die Gelegenheit, dem Warg das Schwert in den Leib zu rammen. Wie ein nasser Sack kracht  die Bestie auf den Boden.

 

Schotaker wirbelt sofort herum und jagt weiter in den Wald. Drei weitere Warge kommen aus dem Wald getrabt, sich ihrer Beute bereits sicher. Schotaker will kehrtmachen, doch zwei weitere kommen aus dem Gebüsch und verstellen uns den Weg. Ihre Orkischen Reiter grinsen unheilvoll. Die Beiden zu unseren Seiten springen gleichzeitig los. Die Orks, die auf den anderen Wargen sitzen und diese davon abhalten, ebenfalls nach vorn zu stürmen, verziehen ihre missgestalteten Fratzen zu einem erwartungsvollen Grinsen.

 

Wie ich es seit meinem sechsten Lebensjahr gelernt habe, lasse ich mich zur Seite unter den Bauch Schotakers fallen, während er einen Satz nach vorne macht. Schon Augenblicke, nachdem er wieder mit allen Hufen auf dem Boden ist, sitze ich wieder auf seinem Rücken.

 

Die beiden Warge ihren krachen samt ihren Reitern mit aufgerissenen Mäulern, aus denen lange, dolchartige Zähne ragen, aufeinander. Als sie noch immer ineinander verkeilt auf dem Boden aufkommen, sind sie bereits tot. Innerhalb von Sekunden breitet sich um sie herum eine große Blutlache aus, während der beinahe schwarze Lebenssaft weiter aus ihren aufgerissenen Kehlen sprudelt.

 

In einem Bruchteil einer Sekunde wird der erwartungsvolle Ausdruck auf den Gesichtern der Orks zu purer Mordlust. Gleichzeitig lassen sie die kurzen Lederpeitschen auf ihre Reittiere niedersausen und diese jagen mit Geifer triefenden Mäulern auf uns zu. Fünf weitere Wargreiter brechen aus dem Gebüsch hervor und stürzen sich ebenfalls auf uns.

 

All mein Denken schaltet sich aus und ich handle nur noch. Nur am Rande bekomme ich mit, wie schwarzes Blut auf meine Kleidung spritzt und Schotakers helles Fell mit der im Sonnenlicht ätzenden Flüssigkeit getränkt wird, unter das sich bald auch unser eigenes mischt.

 

Auf einmal sehe ich alles vollkommen klar, beinahe wie in Zeitlupe. Einer der Reiter fixiert uns und treibt seinen Warg an. Mit einem Satz erreicht dieser Schotaker und gräbt seine messerscharfen Zähne in dessen Schulter. Der Hengst wiehert schrill vor Schmerz und steigt auf die Hinterhand. Geistesgegenwärtig lasse ich mich fallen und rolle außer Reichweite seiner Hufe, von denen soeben einer den Kiefer des Angreifers zertrümmert. Als dieser zu Boden stürzt, wir sein Reiter ebenfalls zu Boden geschleudert.

 

Mit einem Laut, der halb ein schmerzerfülltes Winseln, halb ein zorniges Knurren ist, rappelt sich der verletzte Warg auf und will erneut zum Sprung ansetzen, findet jedoch sein Ende auf der Klinge meines Schwertes, noch bevor seine gigantischen Tatzen den Kontakt mit dem von Blut aufgeweichten Boden verlieren.

 

„Ego! Noro lim Schotaker! Lim!“ (Verschwinde! Lauf schnell Schotaker! Schnell“), versuche ich den Kampfeslärm zu übertönen.

 

Schotaker schnaubt lediglich, macht aber keine Anstalten zu fliehen „Noro, hî!“ (Lauf, jetzt), schreie ich ihn an. Noch einmal sieht er mich fragend an. „Jetzt mach schon verdammt noch mal! Verschwinde!“ Endlich gehorcht er. Mit einem großen Satz setzt er über die dunklen Kreaturen hinweg und verschmilzt augenblicklich mit dem Wald.

 

Ich wende mich wieder den Orks und Wargen zu. „Tänzchen gefällig?“

 

Ich weiß nicht, wie es passiert ist, doch nicht lange nach dieser, zugegebenermaßen dummen Aufforderung, liege ich von Orks umringt am Boden. Die Warge sind bereits tot (Seht gut), meine Schwerter liegen irgendwo außerhalb meiner Reichweite (Weniger gut), und ich verteidige mich mehr schlecht als recht, indem ich mit den Füßen blindlings um mich trete (Sehr schlecht). Hin und wieder zeigt ein Keuchen oder ein leises Stöhnen einen Treffer an.

 

Nun scheinen die Orks genug von den Spielchen zu haben. Zwei packen meine Arme und halten sie am Boden fest, zwei weitere meine Beine. Ein dritter, augenscheinlich der Anführer, setzt sich mit einem triumphierenden Grinsen auf meinen Bauch und holt mit seinem Schwert aus.

 

Resigniert schließe ich die Augen, öffne sie jedoch gleich darauf wieder, entschlossen dem Tod in die Augen zu sehen.

 

Was ich jedoch sehe, verblüfft mich - milde ausgedrückt. Ein Pfeil, nicht so plump wie einer der Orks, aber auch nicht so elegant wie ein Elbenpfeil, bohrt sich in den Hals des Anführers. Überrascht reißt dieser die Augen auf und sackt dann mit einem gurgelnden Geräusch auf mir zusammen.

 

Erschrocken kreischend und keckernd springt die Meute auf und dreht sich unschlüssig um. Die Ablenkung nutzend, entreiße ich dem Toten das schartige Schwert und erledige die, die mich bis eben so gnadenlos am Boden festgenagelt hatten, ehe sie es überhaupt realisieren konnten.

 

Wilde Kriegsschreie erklingen aus dem Wald und eine Gruppe menschlicher Soldaten in dunkler Rüstung, auf der ein silbern, weißer Baum prangt, attackieren die Orks, die von der Wendung der Geschehnisse noch zu überrascht sind, um wirkliche Gegenwehr zu leisten, so dass sie innerhalb weniger Minuten restlos niedergemetzelt werden.

 

Etwas steif setze ich mich auf den harten Waldboden. Jetzt wo der Kampfrausch langsam verebbt und die Anspannung von mir abfällt, beginne ich die zahllosen Verletzungen zu spüren

 

„Seid ihr schwer verletzt, Lady?“, erklingt eine angenehme, jedoch eindeutig menschliche Stimme. Ein recht großer, kräftig gebauter Mann mit dunkelbraunem Haar und Dreitagebart mustert mich aus sturmgrauen Augen besorgt.

 

„Nein, nein, nichts Schlimmes nur ein paar kleine Kratzer!“, eilig stehe ich auf, wobei der Schmerz, der mich kurz zu überwältigen droht, meine Worte Lügen straft. Trotz  meiner eigentlich recht guten Selbstbeherrschung kann ich ein schmerzhaftes Zischen nicht unterdrücken.

 

Teils skeptisch, teils besorgt mustert mich der Fremde.

 

„Seid ihr sicher, dass ihr keine Hilfe braucht?“

 

„Ja“, wehre ich ihn einsilbig ab. „Danke, dass ihr mir geholfen habt. Kurz dachte ich, es wäre endgültig vorbei.“

 

„Oh meine Mutter würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie das sehen könnte!“, ruft er plötzlich aus, und man sieht ihm an, dass er sich am liebsten die Hand gegen die Stirn geschlagen hätte. „Ich bin Asmund Amundssohn“, stellt er sich dann mit einer formvollendeten Verbeugung vor.

 

„Sureto Tokei-ihtosell. Sehr erfreut“, erwidere ich und strecke die Hand aus. Doch statt einzuschlagen will er mir einen Handkuss geben. Mich dezent räuspernd drehe ich die Hand wieder und schüttle sie kurz.

 

„Was macht ihr hier? Es kommen nur selten Menschen in das verborgene Tal.“

 

„Ich bin ein Bote meines Königs. Ich soll eine Nachricht an Lord Elrond überbringen, doch wir können Imladris nicht finden, schon seit Tagen irren wir hier herum!“

 

„Wenn ihr wollt kann ich euch führen“, biete ich an „Sofern mein Pferd zurückkommt“, setze ich nach einem Augenblick hinzu.

 

Ich hole eine an einer Schnur befestigte, reichverzierte Pfeife hervor, blase hinein und kurz darauf kommt Schotaker stark hinkend zu mir. Mit einem Blick auf seine Schulter meine ich trocken: „Ich glaub‘ wir müssen zu Fuß gehen.“ 

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