Kapitel 07

Wolfsjagt

 

Warte!“, ruft Lirulin, der schon ein ganzes Ende zurückgeblieben ist.

 

„Jaha“, entgegne ich genervt. Wie langsam ist Tinu denn?! Hart zügle ich den unwillig schnaubenden Schotaker. „Tut mir leid mein Großer, aber wir müssen auf Lirulin und Tinu warten“, entschuldige ich mich flüsternd bei ihm und klopfe ihm sanft den Hals woraufhin sich der halbwilde Mustang zumindest etwas beruhigt.

 

„Es kann weitergehen.“ Na endlich!

 

Mit einem leichten Schenkeldruck treibe ich meinen Hengst an.

 

„Schön langsam!“, befehle  ich ihm leise wobei ich mich weit vorlehne um seine Ohren zu erreichen „Bleib immer neben Tinu!“

 

Wie nicht anders zu erwarten gehorcht Schotaker, wenn auch nicht allzu begeistert. Da ich mich auf die Trittsicherheit meines Pferdes verlassen kann sehe ich mich um. Die Blätter leuchten in allen nur erdenklichen Schattierungen von grün. Ein Specht, es scheint ein Buntspecht zu sein, bearbeitet einen Baum in der Nähe des Weges und flattert, sich lautstark beschwerend, davon, als wir ihm zu nahe kommen. Eine Maus huscht quer über unseren Weg und macht mich damit auf die Hirschspuren aufmerksam. Die Fährte erinnert mich sofort an den Wolf.

 

„Er muss riesig sein“, sage ich zu mir selbst.

 

„Wer muss riesig sein?“, hakt Lirulin, der mich mit seinen Elbenohren selbstverständlich gehört hat, nach.

 

„Der Wolf“

 

„Wieso?“, fragt er „Woher willst du das wissen?“

 

„Nun, zu einen war es sein Heulen, es war laut und recht tief. Zum anderen hat er - höchstwahrscheinlich allein - einen Hirsch getötet. Hirsche sind zwar Fluchttiere, aber wenn die Lage aussichtslos für sie ist greifen sie an und es sind bereits viele Wölfe von den Spitzen ihrer Geweihe und ihren Hufen getötet worden. Aus diesem Grund grenzt es für einen Wolf beinahe an Selbstmord, allein einen Hirsch zu jagen, außer er ist sehr groß“, erkläre ich geduldig.

 

Eigentlich hatte ich erwartet, dass er weiter fragt, doch er nickt nur verstehend.
Ich warte noch ein wenig, ob er nicht doch noch etwas sagt, dann widme ich mich der Fährte.

 

„Was meinst du“, beginne ich vorsichtig, da ich nicht weiß wie er reagiert, ich kenne ihn ja kaum. „Wollen wir versuchen diesen Hirsch zu erlegen?“

 

Verständnislos sieht er mich an „Wie willst du das machen? Wir haben beide keine Bögen dabei“

 

„Das ist kein Problem“, beinahe entrüstet sehe ich ihn an „Ich will nur wissen ob es dich irgendwie stört, wenn…“, ratlos zucke ich die Schultern. Was wenn? Mir fällt ehrlichgesagt nichts ein.

 

„Nein, nein mach nur. Ich hab zwar keine Ahnung wie. Aber… na mach nur“, ermuntert mich Lirulin.

 

Also reiten wir eine Weile der Hirschfährte nach. Nach etwa einer Stunde werden die Pferde nervös. Um zu verhindern, dass sie durchgehen und weglaufen, binden wir ihre Zügel an einer kräftigen Linde fest – so, dass sin grasen und saufen, jedoch nicht fortlaufen können.

 

Zu Fuß kommen wir sogar etwas schneller voran, da unsere Pferde nicht so gut im teilweise sehr dichten Unterholz zurechtkamen. Nahezu lautlos, obwohl wir uns keine Mühe geben, traben wir zügig der Hirschfährte nach.

 

Abrupt bleibe ich stehen.

 

„Was ist?“, fragt Lirulin mich flüsternd.

 

„Ich rieche Blut“, erwidere ich ebenso leise. Vorsichtig biege ich einen Zweig beiseite.

 

Die Hirschjagt hat sich eben erledigt“, stelle ich fest.

 

„Warum?“
Ich gehe etwas zur Seite und Lirulin nimmt meinen Platz ein. Ich höre ich geschockt Luft holen.

 

„Entschuldige mich“ keucht er und wankt in ein Gebüsch. Kaum ist er darin verschwunden vernehme ich eindeutige Würgegeräusche.

 

Verständnislos schüttle ich den Kopf. Wie hat der bis jetzt überlebt, wenn er so zartbesaitet ist? Und vor allem: Wie kann er ein Soldat sein?!

 

Sorgfältig versichere ich mich, dass wir wirklich allen sind, dann gehe ich auf die Lichtung und hocke mich neben den Kadaver. Er riecht bereits etwas - naja, er ziemlich – streng und einige Fliegen umschwirren ihn laut brummend. Überall ist Blut und es scheint so, als hätten sämtliche Organe ihren Weg an die Oberfläche gefunden.

 

Einst muss es ein prächtiger Zwölfender gewesen sein. Ein Edles, stolzes Tier. Es ist traurig, was aus ihm geworden ist.

 

Ein Sonnenstrahl fällt auf den übel zugerichteten Kadaver und ich bemerke etwas weißes, das nicht so aussieht, als würde es zu dem Tier gehören.

 

Vorsichtig strecke ich die Hand aus und ziehe den Fremdkörper aus dem toten Fleisch. Neben mir höre ich Lirulin, der sich soweit erholt hat, dass er sein Gebüsch wieder verlassen konnte, unterdrückt würgen.

 

Nachdenklich  betrachte ich den Zahn. Er ist sehr groß, ungewöhnlich groß.

 

„Sieht aus wie ein Wargzahn“, würgt Lirulin hervor, schlägt sich die Hand vor den Mund und kehrt in sein Gebüsch zurück.

 

Ich ziehe einen kleinen Lederbeutel hervor und lasse den Zahn hinein fallen. Dann stehe ich auf und betrachte die Fährten. Es sind Wolfs- und Hirschspuren, doch am Rande der kleinen Lichtung sind auch die Fußabdrücke eines Elben, der wie es scheint ein Pferd geführt hatte.

 

„Lirulin!“, rufe ich in Richtung der Würgegeräusche „Komm! Wir verlegen die Wolfsjagt auf jetzt!“ Ich weiß nicht wieso, doch immer wenn ich an den Wolf denke, muss ich sofort an Erestor denken. Vielleicht wegen seinem merkwürdigen Gang.

 

Lirulin taumelt aus seinem Busch und reißt mich so ans meinen Gedanken.

 

„Du siehst schrecklich aus“, stelle ich wenig schmeichelhaft fest. Er sieht aber auch wirklich aus als wäre er gerade von den Toten auferstanden.

 

Gemeinsam kehren wir zu unseren Pferden zurück und steigen auf. Dann treiben wir die Tiere, obwohl sie extrem nervös sind, zu dem Kadaver.

 

Als wir daran vorbeireiten wollen, steigt der sonst so ruhige Tinu laut wiehernd. Nur mit viel Mühe gelingt es Lirulin sein Pferd etwas zu beruhigen. Doch auch Schotaker tänzelt nervös, macht jedoch keine Anstalten zu steigen. Vorsichtig dränge ich meinen Hengst zwischen Tinu und den toten Hirsch. Sogleich beruhigt sich Tinu etwas und lässt sich widerstandslos an der Tierleiche vorbeireiten.

 

Ich finde die Wolfsfährte auf Anhieb.

 

Wir brauchen die Pferde nicht anzutreiben, die Tiere bemühen sich von sich aus möglichst schnell von der Lichtung wegzukommen. Immer wieder müssen wir sie sogar zügeln, um die Spur nicht zu verlieren. Ich finde es merkwürdig, dass ein so massiges Tier, wie es der Wolf ohne Zweifel sein muss, nur so oberflächliche Pfoten abdrücke hinterlassen kann. Ich mache auch Lirulin darauf aufmerksam, doch er zuckt nur ratlos und murmelt etwas, was ich trotz meiner Elbenohren nicht verstehe.

 

Die Pferde haben sich derweil wieder beruhigt und wir müssen sie nicht ständig zügeln. Nach gut drei Meilen schlug der Wolf einen Bogen und lief direkt auf Imladris zu. Lirulin und ich wechseln einen Besorgten Blick und treiben die Pferde an, obwohl uns durchaus bewusst ist, dass wir nichts werden ändern können – die Fährte ist schließlich schon … Ich sehe kurz auf den Stand der Sonne – gut zwölf Stunden alt. In einem leichten Galopp, schneller wäre im Wald zu gefährlich, reiten wir zurück nach Imladris.

 

Unterwegs verfolgen wir aufmerksam die Spur. Teilweise sieht es so aus als wäre der Wolf wie ein junger Hund herumgetollt und die Spur des Reiters ist ebenfalls allgegenwertig. Oft sieht es so aus als hätte er mit dem Wolf gespielt.
„Wer kann das sein?“, fragt mich Lirulin während wir die wirren Spuren betrachten.

 

„Woher soll ich das wissen? Ich bin erst seit gestern in Imladris“

 

Kurz bevor der Wald endet und die Gärten und Häuser von Imladris beginnen verschwindet die Wolfsfährte. Stattdessen gibt es eine neue Spur. Es sind kleine Füße ohne Schuhe. Auch der Reiter war hier abgestiegen und hat den oder die kleinere Person umarmt oder stand ihr oder ihm zumindest sehr nah gegenüber.

 

„Wer ist das?“, murmelt Lirulin neben mir und ich erwidere: „Die Frage ist doch eher: wo sind die Wolfsspuren? Das Vieh kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben?!“ Ohne es verhindern zu können stelle ich mir einen großen Wolf vor, der sich in Erestor verwandelt. Eine Irrwitzige Vorstellung. Entschieden schüttle ich diesen Gedanken ab. Nur wenige können ihre Gestalt wechseln und Erestor gehört sicher nicht dazu!

 

„Was ist?“, fragt mich Lirulin verwundert. Ich muss wohl tatsächlich mit dem Kopf geschüttelt haben.

 

„Nichts“ Er sieht mich noch kurz an, akzeptiert dann jedoch meinen Wunsch, zu schweigen.

 

„Komm. Bringen wir die Pferde weg. Die Spur finden wir eh nicht wieder“, zögernd stimme ich ihm zu. Zuzugeben, die Fährte verloren zu haben kratzt gehörig an meinem Stolz. Wie um mich zu verhöhnen beginnt ein Vogel zu singen und es klingt in meinen Ohren wie ein spöttisches Lachen. Ich höre etwas genauer hin. Mein Vater, der halb Tawarwaith ist, hat mir als ich noch ein Kind war die sprachen der Vögel beigebracht. Es ist tatsächlich ein Spottlied! Wütend nehme ich einen Stein und werfe ihn nach dem Vogel. Empört zwitschernd fliegt er auf. Es ist ein Buchfink und noch dazu ein ungewöhnlich schöner mit einem kleinem weißem Fleck auf dem Kopf, der aus dem sonst leuchtendblauen Gefieder auf der Kopfoberseite und am Nacken hervorsticht wie eine Schneeflocke im Hochsommer.  Noch einmal seinen Unmut kundtuend verschwindet er zwischen den hohen Bäumen.

 

„Kommst du endlich?“, ruft Lirulin mir auffordernd zu. „Jaja“, antworte ich genervt und jogge mit Schotaker im Schlepptau zu ihm. Ich brauche ihn nicht am Zügel zu führen, er folgt mir wie ein Hund. Wann er damit begonnen hat weiß ich nicht mehr, doch es ist sehr nützlich und manchmal auch amüsant. Ich habe früher  oft mit ihm fangen gespielt, um diese Angewohnheit zu fördern.

 

„Da bist du ja endlich“, grinst Lirulin und streckt die Hand nach meinem Kopf aus. Misstrauisch beobachte ich ihn und spanne mich an als ich seine Finger in meinem Haar spüre, doch er zieht schon Augenblicke später die Hand zurück und ich spüre dabei ein leichtes ziehen an meinem Haar. Grinsend hält mir Lirulin zwei Zweige vor die Nase und ich entspanne mich sofort.

 

„Wolltest du etwa den halben Wald mitnehmen?“, übertreibt er mit einem lausbubenhaften Grinsen im Gesicht und ich verpasse ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Hinterkopf.

 

„AU!“ Mit gespielt schmerzverzerrter Miene reibt er sich den Kopf „Das war nicht nett!“ Seine schmollend vorgeschobene Unterlippe bringt mich zum Lachen. Grinsend schüttle ich den Kopf und streiche mir eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht.

 

„Komm, bringen wir die Pferde weg.“ Während ich das sage setze ich mich schon in Bewegung und Schotaker folgt mir wie gewohnt.

 

„Aye*7Meldis nin. (ja, meine Freundin)“, ruft Lirulin und beeilt sich, zu mir aufzuschließen. Gemeinsam bringen wir die Pferde in den Stall und reiben sie mit etwas trockenem Stroh ab. Da ich Schotaker im Gegensatz zu Lirulin nicht abzusatteln brauche und Schotaker auch kaum geschwitzt hat, bin ich wesentlich eher fertig und helfe darum Lirulin, seinen Tinu abzutrocknen.

 

„Kommst du kurz mit auf mein Zimmer, wenn wir fertig sind?“, fragt er mich dabei und ich nehme dankend an, da eindeutig ist, dass er keinerlei Hintergedanken hat.

 

Nach einigen weiteren Minuten haben wir es dann auch geschafft. Lirulin gibt Tinu noch einen Apfel und wir verlassen fröhlich schwatzend den Stall.

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