Kapitel 44

Kleine Teufel

 

Nach drei Wochen wird der übliche Tagesablauf wieder zur Routine. Nachdem das tägliche Training zu Ende ist, gehe ich wieder in meine Wohnung.

 

Ich öffne die Tür und werde von zwei niedlichen, hungrigen Kätzchen begrüßt. Während mir Rhovansell noch miauend um die Beine streicht, rennt Niqesse schon ins Bad zum Futternapf.

 

„Na komm her“, murmle ich, lege die Tasche, in der sich meine Waffen und einige andere Dinge, die ich zum Training brauche – wie zum Beispiel bunte Bänder, die ich in den Bäumen verstecke und meine Schüler darauf schießen lasse – ab und nehme stattdessen Rhovi auf den Arm, die sich sofort laut schnurrend an mich schmiegt. Es wundert mich etwas, dass sie nicht bei ihren Jungen ist – sie hat vor eineinhalb Wochen drei Junge geworfen und sie seitdem nicht aus den Augen gelassen.
Im Bad fülle ich die Näpfe und beide Katzen stürzen sich auf das Futter, als hätten sie seit Wochen nichts zu fressen bekommen. Ich schüttle leise lachend den Kopf, streiche beiden Katzen einmal sacht über den Rücken und verlasse das Bad.

 

Als ich ins Wohnzimmer komme, klären sich gleich zwei Fragen. 1. Wo sind die Katzenjungen und 2. Warum hat Lirulin, der seit dem Tod von Minuial bei mir wohnt, da er nicht allein sein will, die Katzen nicht wie sonst gefüttert?

 

Es ist wirklich ein niedliches Bild, wie Lirulin beim Lesen auf seinem Buch eingeschlafen ist, drei kleine Fellknäule haben sich an seinem Bauch zusammengerollt. Leise, um ihn nicht zu wecken, schiebe ich seine Hand beiseite und tausche das Buch unter seiner Wange gegen ein Kissen aus. Gähnend streckt sich eines der Jungen, schläft aber sofort wieder ein, als ich ihm sacht über den Rücken streiche.

 

„Schlaft gut ihr vier“, flüstere ich und breite die leichte Tagesdecke über Lirulin aus, sorgsam darauf bedacht, die drei Kätzchen nicht zu bedecken.

 

Ich gehe zum Bücherbord, suche mir ein Buch aus und lasse mich im Schneidersitz auf dem Sessel nieder. Entspannt lehne ich mich zurück und freue mich über die Ruhe, die eingetreten ist, jetzt wo Lirulin Aurora jeden Morgen zu Mánawen bringt, die den Aufgabe als Lehrerin übernommen hat, nachdem die Alte eines der Opfer des Kampfes vor drei Wochen war.

 

Ich habe grade einmal eine Seite gelesen und will umblättern, als Rohvi und Niqesse vollgefressen aus dem Bad kommen. Während Rhovansell zielstrebig zum Sofa rennt und sich zu ihren Jungen kuschelt, bleibt Niqesse unschlüssig zwischen der Couch und dem Sessel stehen, streckt sich, gähnt und setzt sich hin.

 

Ich lächle leicht und schnalze mit der Zunge. „Komm Niq.“ Bekräftigend klopfe ich auf meinen Oberschenkel. Nach einem letzten unschlüssigen Blick zu Lirulin springt sie auf meinen Schoß, rollt sich schnurrend zusammen.

 

Mit einer Hand streichle ich Niqesse, mit der anderen halte ich das Buch. Als ich umblättern muss, lege ich den schweren Wälzer auf ihrem Bauch ab, was sie leise protestieren lässt.

 

Grade als ich kurz vor dem Einnicken bin, geht die Tür auf und Aurora stürmt in Begleitung von Ránaóre in das Zimmer – wobei nur Aurora >stürmt<, Ránaóre folgt ihr langsamer, beinahe ein wenig schüchtern.

 

Gen suilon(Informelle Version von ich grüße dich, Gleichzusetzen mit >Hallo< oder >Hi<)Ránaóre“, begrüße ich den Jungen und lächle freundlich, ehe ich mich wieder meinem Buch widme.

 

Nur wenig später fliegt die Tür ein zweites Mal auf und Elladan und Elrohir stürmen herein. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich versucht, ihnen beizubringen, dass man anklopfen soll. Beide hatten artig genickt – und es im nächsten Augenblick wieder aus ihrem Gedächtnis gelöscht.

 

Von der Couch her ertönen ein Grummeln und ein protestierendes Fauchen seitens Rhovansell, als Lirulin sich auf die andere Seite dreht. Ganz gleich wie tief er schläft, die vier Kinder, die sich momentan in meiner Wohnung tummeln, würden selbst die Toten aufwecken.

 

Schließlich gibt Lirulin den Versuch zu schlafen auf, setzt sich hin und streckt sich ungeniert gähnend. „Ma‘ was“, nuschelt er undeutlich beim Gähnen. Zwar weiß ich, was er meint, doch irgendwie bin ich grade in der Stimmung, ihn etwas zu ärgern. „Wie bitte“, frage ich daher scheinheilig.

 

Genervt grummelt Lirulin etwas. „Ich hab dich nicht verstanden“, flöte ich. „Schaff die Nervensägen hier raus, ich will schlafen!“, kommt nun endlich eine verständliche, wenn auch missgelaunte Antwort. „Aber selbstverständlich.“  Wieder ernte ich nur ein Grummeln.

 

Grinsend rufe ich die drei Hyperaktiven und den halbwegs Vernünftigen zu mir. Mit großen, erwartungsvollen Augen sehen sie mich an und ich muss ein Grinsen unterdrücken. „Was haltet ihr davon, rauszugehen und mir zu helfen, ein Boot zu bauen?“ – Warum frage ich eigentlich?! Ich kann gar nicht so schnell gucken, wie die vier sich fertig machen und an mir vorbei aus der Tür stürmen.

 

„Wartet!“, rufe ich ihnen nach, und tatsächlich verstummt das Trappeln der Kinderfüße, ob nun weil sie außer Hörweite sind oder weil sie tatsächlich stehengeblieben sind, kann ich nicht sagen, vermute – und hoffe – aber letzteres, ansonsten muss ich wohl einfach hoffen, das Ránaóre so vernünftig ist, wie er scheint.

 

Ich nehme mir etwas Obst aus der flachen Schale, die immer auf der Kommode im Flur steht. Dann folge ich den kleinen Teufeln – oder Morgothen, wobei ich bezweifle, dass jemand das sagen würde.

 

Kaum bin ich bei ihnen angekommen, werde ich von einer Flut von Geplapper fast überwältigt. Aurora, Elladan und Elrohir reden gleichzeitig in recht beachtlicher Lautstärke auf mich ein. Einige Sekunden  versuche ich ihnen zuzuhören, gebe dann aber auf und beschränke mich darauf, auf Durchzug zu schalten und an den vermeintlich richtigen Stellen zu nicken.

 

Als die drei kurz innehalten um Luft zu holen, nutze ich diesen kleinen Augenblick der Ruhe und beordere sie nach draußen. Sofort beginnt das Geschnatter wieder von vorn, nur Ránaóre ist zu meiner Erleichterung still und tapst brav wie ein gut erzogenes Hündchen neben mir her, wobei er sich auffällig von den Kindern fernhält.

 

„Ich muss noch mal kurz zu Angreninaur, eine Axt holen“, versuche ich das Geschnatter der Nachwuchsteufel zu übertönen, das ‚jaja‘, das zurück kommt, ist wenig überzeugend. Und richtig – als wir an der Gabelung des Weges ankommen, biegen sie prompt falsch ab.

 

„Halt“, rufe ich und ihnen nach und tatsächlich bleiben sie stehen und sehen mich völlig verwirrt an – erstaunlich, wie alle drei synchron exakt den gleichen Gesichtsausdruck aufsetzen können, beinahe ein wenig unheimlich.

 

„Was denn?“, fragt Aurora mit hochgezogenen Augenbrauen, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie mein Verhalten für absolut unnachvollziehbar und verrückt hält.
„Wie ich eben sagte“, ich sehe sie strafend an, doch es prallt völlig wirkungslos an ihr ab, „will ich noch einmal zu Angreninaur, um eine Axt zu holen.“

 

Gleichgültig zuckt Aurora die Schultern und stiefelt, gefolgt von den Zwillingen, in Richtung Schmiede davon.

 

Jemand kichert neben mir –Ránaóre. „Was?!“

 

Er grinst unschuldig zu mir auf. „Naja, sie verhält sich wie ihr.“ Entgeistert starre ich ihn an. Er zuckt mit den Schultern und murmelt „Is‘ doch so“ und lässt mich einfach stehen.

 

„Pff“, mache ich. Was erlaubt der sich? Aber ganz ehrlich, benehme ich mich wirklich wie eine Fünfjährige? Nein, kann nicht sein! Ich nicke einmal zu mir selbst und folge den vieren.

 

Als ich die Schmiede betrete schlägt mir eine enorme Hitze entgegen. Sämtliche Öfen brennen und es ist rappelvoll.

 

Ich trete nahe an  Angreninaur heran, der damit beschäftigt ist, selbst zu schmieden und gleichzeitig alle anderen zu überwachen.

 

Er reagiert nicht, als ich ihn anspreche. Ich klopfe ihm leicht an auf die Schulter. Überrascht dreht er sich kurz zu mir um, brüllt „Ja?“, um den Lärm zu übertönen und wendet sich wieder seiner Arbeit zu.

 

„Kann ich mir mal deine Axt ausleihen?“, schreie ich ihm schon beinahe ins Ohr, dennoch versteht er mich nicht „Was?“

 

Ich wiederhole meine Frage noch einmal so laut, dass es mir selbst in den Ohren schmerzt, endlich versteht er.

 

„Klar. Steht da hinten.“ Er deutet auf eine Ecke, die nicht von Ständern voller fertiger und unfertiger Schwerter vollgestopft wurde, stattdessen lagern dort die Werkzeuge der Schmiede. „Danke.“ Zur Antwort reckt er kurz den Daumen in die Luft und wendet sich dann wieder seiner Arbeit zu.

 

Ich brauche etwas, bis ich die Axt Angreninaurs zwischen all den Werkzeugen gefunden habe. Mit einem triumphierenden „HA“ recke ich sie kurz in die Luft, wobei ich feststelle, dass sie verdammt schwer ist. Nun ja, es wäre wohl merkwürdig gewesen, wenn nicht.

 

In Zeiten des Friedens nutzt Angreninaur sie zwar zum Holzschlagen, doch selbst für den verstaubtesten Schreiber ist ihr eigentlicher Zweck auf den Ersten Blick zu erkennen: die riesige Doppelstreitaxt an deren oberen Ende ein langer, gefährlich aussehender Dorn prangt, ist eindeutig dafür gedacht, auch die dicksten Rüstungen zu durchdringen und zu töten.

 

Als ich die Axt anhebe, wird mir erst bewusst, wie stark Angreninaur ist. Ich habe ihn schon einmal mit der Axt kämpfen sehen – zwar nur im Training, doch es reichte um zu verstehen, dass der beinahe zwei Yards große Schmied niemand ist, gegen den ich gerne kämpfen würde. Während ich die Axt mit beiden Händen halte und sie reichlich schwer finde, hat er sie mit einer Hand geschwungen, als wöge sie praktisch nichts.

 

Ich lege mir die Axt auf die Schulter, winke Angreninaur noch einmal zu – er winkt mit einem grade aus der Esse geholten, rot glühenden Schwert zurück.

 

Erleichtert atme ich auf, als ich wieder aus der Tür trete. Es ist mir ein Rätsel, wie die Schmiede es da drinnen aushalten. Zwar war ich eine Zeitlang auch ein regelmäßiger Gast in der Schmiede, doch dann brannten immer nur ein, maximal zwei Schmiedeöfen und es war wesentlich kühler.

 

Ein vierfaches erleichtertes Seufzen erklingt. „Endlich“, stößt einer der Zwillinge aus.
„Und was machen wir jetzt?“, fragt Ránaóre, dessen Augen noch immer vor Begeisterung über die Schmiede glänzen, obwohl ihm das sonst stachlige Haar an der schweißfeuchten Stirn klebt.

 

„Jetzt…“, beginne ich und wuschle ihm einmal kurz durch das schwarze, kurze Haar, das daraufhin wieder wie üblich zu Berge steht. Er protestiert zwar, scheint jedoch mit dem Ergebnis durchaus zufrieden. „…gehen wir einen Wald und suchen uns eine Weide, der es nicht gut geht, fällen sie und machen uns daraus ein Boot.“
Obwohl ich damit nur den schon zuvor feststehenden Plan wiederholt habe, klatscht Aurora freudig in die Hände. Als sich dadurch ihre Tunika etwas anhebt, sehe ich etwas Metallisches hervorblitzen.

 

„Was hast du da?“, frage ich sie. Sofort wird das Mädchen rot und zieht die Tunika nach unten. Sie weicht meinem Blick aus und zupft an ihrem Ohrläppchen, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie gleich lügen wird. „Hab ich gefunden.“

 

„Gibst du es mir bitte mal?“ Ich hoffe, dass meine Vermutung, falsch ist, als sie sich jedoch standhaft weigert, schwinden meine Hoffnungen. Mit einer schnellen Bewegung ziehe ich es aus ihrem Hosenbund. Es ist ein hübscher Dolch. An sich nichts Schlimmes, da Aurora in Waffen aller Art vernarrt ist. Dieser Dolch jedoch ist unglaublich scharf – ein Glück, das er in ein einer Scheide steckt.

 

„Woher hast du den?“, frage ich sie scharf. Als sie wieder Anstalten macht zu lügen, sehe ich ihr scharf in die Augen. Ich sehe, wie ihr Widerstand einzubrechen beginnt und hebe eine Braue. Sie murmelt etwas, das jedoch zu leise ist, um es zu verstehen. „Wie bitte?“

 

„Aus der Schmiede“, schmollend presst sie die Lippen zusammen und sieht an mir vorbei.
Ich lehne mich vor und lege ihr die Hände auf die Schultern. „Du musst ihn zurückbringen“, sage ich eindringlich, jedoch nur mit dem Erfolg, dass sie den Kopf wegdreht.
„Aurora!“, zische ich so scharf, dass sie zusammenzuckt und mich einen Augenblick erschrocken ansieht -  ich hatte bisher noch nie so mit ihr gesprochen – ehe sie sich wieder abwendet und mit vorgeschobener Unterlippe stur eine Hauswand anstarrt.
„Bring ihn zurück!“, wiederhole ich mit einem leicht drohenden Unterton, doch sie ignoriert mich weiterhin. „Sie hat recht“, mischt sich Ránaóre leise ein und legt ihr eine Hand auf die Schulter.  Als dann auch noch die Zwillinge leicht nicken, senkt sie den Blick. „Gut, ich machs.“

 

Zufrieden lächle ich und streiche ihr über den Kopf. „So ist´s gut, Kleine.“ Ausnahmsweise protestiert sie nicht und geht zurück zur Schmiede.

 

Verstohlen öffnet sie die Tür und legt den Dolch direkt daneben ab. Dann zieht sie sich zügig zurück und flüchtet zurück zu uns. Lobend klopfe ich ihr auf die Schulter und gemeinsam setzen wir unseren Weg zum Wald fort.

Kommentare: 0