Kapitel 15

Patrouille II - Entführung

 

Schon früh am nächsten Morgen wache ich auf. Die Sonne ist noch nicht einmal aufgegangen, doch die Vögel sind bereits hellwach und vermutlich waren sie es, die mich mit ihrem Gezwitscher geweckt haben.

 

Nein, nicht die Vögel haben mich geweckt, sondern Derjenige, der zum wiederholten Mal kräftig gegen die Tür klopft.

 

„Aufwachen!“ An der Stimme erkenne ich Nethbethil, der bereits sehr ungeduldig ist.
„Ja, ja, wir sind wach“, rufe ich verschlafen zurück, was nicht ganz Stimmt, denn Mallanglîn schläft noch wie ein Baby. Ich starte den halbherzigen versuch sie zu wecken, indem ich mein Kissen nach ihr werfe. Ich lande einen perfekten Treffer mitten ins Gesicht. Sie murrt etwas, dreht sich um, seufzt – und schläft einfach weiter.
Ich grummle etwas in meinen nicht vorhandenen Bart, dann ergebe ich mich meinem Schicksal und stehe auf, um sie richtig zu wecken. Ich rüttle sie sanft an der Schulter und habe diesmal tatsächlich Erfolg. Sie öffnet die Augen.

 

„Warum hab ich zwei Kissen?“ Ist ihre erste Reaktion.

 

„Hab meins mach dir geworfen um dich zu wecken – hat nicht funktioniert“, setze ich noch unnötigerweise hinzu.

 

„Müssen wir aufstehen oder wolltest du mich ärgern?“

 

„Wir müssen“

 

„Na dann…“ Sie hievt sich auf dem Bett und beginnt sich anzuziehen. Nur wenige Minuten später sind wir fertig angezogen und haben unsere Sachen gepackt.

 

„Na endlich!“, werden wir von Lindo empfangen, als wir an der Feuerstelle, ankommen die wir am Vortag zum Treffpunkt erklärt hatten.

 

Allem Anschein nach sind wir die Letzten. Wir lassen uns auf den um die Feuerstelle gelegten Baumstämmen nieder und die anderen reichen uns unser Frühstück – für jeden zwei belegte Brote.

 

Es schmeckt nicht so gut, wie ich es nach der Zeit in Imladris gewöhnt bin, doch es ist in Ordnung. Nachdem alle fertig sind steht Lindo auf und verschafft sich Gehör.

 

„Es wird zwei Schichten geben, eine Tages- und eine Nachtschicht. In der Tagesschicht sind sechs Krieger, die jeweils in Paaren gehen: Heledir und Nethbethil, Sirion und Celegaew, Sureto und Mallanglîn. Die anderen Übernehmen die Nachtschicht. Ich gehe mit Lirulin und Morchant mit Limthoron.“ Er sagt uns noch, für welche Bereiche wir zuständig sein werden, dann schickt er uns los. Die Pferde lassen wir bei den Hütten zurück, sie wären uns nur hinderlich.

 

Wir schnallen uns die Waffen und den Proviant auf den Rücken, dann brechen Mallanglîn und ich Richtung Westen auf.

 

Nach einer Weile wird das Unterholz so dicht, dass wir auf dem Boden kaum noch vorankommen und wir weichen auf die Bäume aus. Ich hätte nie erwartet, dass es in Imladris und Umgebung so unglaublich dichtes Gehölz gibt.

 

„Von wo kommst du eigentlich genau?“ fragt Mallanglîn, als wir wieder auf den Boden zurückkehren und nebeneinander her laufen können.

 

„Vom Oberen Missouri – wirst du nicht kennen.“

 

„Stimmt, vom Missouri habe ich noch nie etwas gehört. Und wie ist es dort?“

 

„Anders.“ Als sie fragend die anmutig geschwungenen Brauen hebt fahre ich fort: „Es ist einfach Wildnis. Wir leben zwar mittlerweile von der Rinderzucht, aber wir jagen dennoch und sammeln Beeren und Früchte, wenn wir sie finden. Wenn die Rinder die Wiesen abgegrast haben, ziehen wir weiter. Wir leben in Zelten, deren Planen aus der Haut von Büffeln sind. Das Land ist hart. Es gibt heftige Stürme und es wird nie wärmer, als hier zu Anfang des Frühlings. –Stopp!“

 

Reflexartig strecke ich einen Arm aus und hindere Mallanglîn am Weitergehen.

 

„Was ist?“, haucht sie dicht an meinem Ohr. Mit einer kurzen Geste mache ich sie auf eine Fährte, die Gras verdeckt wird, aufmerksam, die ich nur dank einiger abgebrochener Zweige bemerkt habe.

 

„Entwarnung. Die ist alt“, erkläre ich jedoch gleich darauf.

 

„Eine Orkspur, oder? Ich bin nicht so gut im Fährtenlesen“, entschuldigt sich meine

 

Partnerin und lächelt leicht verschämt.

 

„Ja, sie ist etwa eine Woche alt. Es waren acht bis zehn Orks, keine Warge“

 

„Folgen wir ihnen?“

 

„Ja“ Da die Fährte schon relativ alt ist, besteht eigentlich kaum Gefahr, dennoch sehe ich mich wachsam um. Es scheint alles in Ordnung. Die Tiere verhalten sich normal und der Wald ist, bis auf einige abgebrochene Zweige, intakt.

 

Vorsichtig bahnen wir uns unseren Weg durch den Wald, was nicht einfach ist, da wir die Spuren nicht verwischen wollen und dabei selbst keine Spuren in dem weichen Waldboden hinterlassen dürfen. Wobei Letztes für uns kein allzu großes Problem darstellt, da Elben einen sehr leichten Gang haben und unsere Stiefel beinahe so weich sind wie Mokassins, wodurch sie kaum im Boden einsinken.

 

„Hier haben sie gerastet“, sage ich mehr zu mir selbst, als zu Mallanglîn nach etwa einer halben Stunde.

 

„Das erkenne sogar ich, aber danke für den Hinweis.“ Mallanglîn hat Recht, das Lager ist kaum zu Übersehen. Das Gras ist auf einer Lichtung von gut Zehn Yards Durchmesser plattgetrampelt worden, es stinkt nach Urin. Ein Baum wurde gefällt und die traurigen Überreste der einst mächtigen Buche liegen in der Nähe einer großen Feuerstelle mittig der Lichtung.

 

„Sieh mal! Die Spur ist viel deutlicher als vorher!“, ruft Mallanglîn von der anderen Seite der Lichtung. Rasch laufe ich zu ihr.

 

„Jetzt sind es mehr als zwanzig“, stelle ich verwundert fest. Ich richte mich wieder auf und untersuche genauestens die Ränder der Lichtung. Ich habe noch nicht einmal ein Viertel abgesucht, als ich schon eine recht deutliche Fährte sehe.

 

„Sie kamen von hier.“ Die Fährte sieht anders aus als die andere, obwohl es kaum mehr Orks waren, als bei der anderen Fährte, so ist sie doch weit deutlicher.

 

„Die Fährte ist viel frischer!“

 

„Ich glaube aber die sind alle gleichalt“ ruft Mallanglîn zurück, die immer noch über Fährte gebeugt steht.

 

„Ja, die sind von vorgestern würde ich sagen“, murmle ich, als ich wieder neben ihr stehe.

 

„Aber die“, ich deute zurück in die Richtung, aus der wir kamen „Sind mindestens eine Woche alt. Während die“ Ich zeige auf die Fährte der dazu gestoßenen Orks „nur etwa zwei Tage alt sind. Dort drüben ist die Fährte eines Warges, sie ist ungefähr einen Tag älter die, der wir gefolgt sind und jünger als die übrigen. Ich gehe davon aus, dass es ein Bote oder ein Späher war, zumal er aus derselben Richtung kam, wie die „Neuen“ Ork.“ Ich mache eine kurze Pause, um nachzudenken.

 

„Ich glaube es war so: Die Orks, deren Fährte wir folgten, streunten schon eine Weile in unseren Wäldern herum, vielleicht hatten sie einen Auftrag, vielleicht auch nicht, egal, sie machten hier rast. Möglicherweise war das Feuer ein Zeichen für die andere Gruppe. Diese sahen es und schickten einen Boten voraus - den Wargreiter. Er kam im Laufe der nächsten Nacht an. Siehst du, hier. Er stieg ab, unterhielt sich mit einem der Orks, wahrscheinlich dem Anführer, dann stieg er wieder auf und ritt zurück, in der Nacht darauf kam er mit dem Rest zurück. Ich wette, wenn wir dieser Spur folgen, werden wir ein weiteres Orklager finden. Die beiden Gruppen rasteten hier einen Tag lang, ehe sie dann gemeinsam aufbrachen.“ Als ich ende, kann ich ein triumphierendes Lächeln nicht unterdrücken.

 

„Kannst du das wirklich alles aus den Spuren herauslesen?“, sie klingt überaus ungläubig.

 

„Bis auf die Vermutungen, ja.“

 

„Das musst du mir unbedingt beibringen! Ich habe aber trotzdem noch eine Frage: Wie kommst du auf die Idee, dass das Feuer ein Zeichen war?“

 

„Logik“ Als ich ihren verständnislosen Blick sehe seufze ich lautlos „wäre es kein Zeichen, wären sofort alle Orks auf einmal gekommen, ohne vorher einen Boten zu schicken“

 

„Woher willst du wissen, dass sie nicht alle gekommen sind und nicht erst einen Boten geschickt haben, als sie ihresgleichen erkannt haben?“

 

„Warum hätten sie einen Boten schicken sollen, wenn sie Ihresgleichen schon erkannt haben?“, stelle ich die Gegenfrage. Sie hebt eine Braue.

 

„Gut… Warum hätten sie einen ganzen Tag brauchen sollen, um hier her zu kommen, wenn sie hier ganz in der Nähe waren?“

 

„Ist ja gut, du hast gewonnen!“ Mallanglîn hebt die Hände in einer Geste der Kapitulation. „Welcher Fährte folgen wir?“

 

Ohne zu überlegen antworte ich: „Der Neuen natürlich“

 

„In Ordnung“

 

Ohne weiter zu zögern setzen wir uns in Bewegung. Der Wald wird schon nach wenigen Schritten wieder dichter und hat wohl die Orks ausgebremst, doch Mallanglîn und ich können unseren Weg in unverminderter Geschwindigkeit fortsetzen, da die Orks eine breite Schneise in den Wald geschlagen haben, der auch ein Blinder mit einem Krückstock hätte folgen können.

 

„Warum sind sie jetzt so unvorsichtig? Vorher haben sie ihre Spur recht gut verborgen und jetzt das?“, fragt Mallanglîn verwundert. Auch ich hatte mich das schon gefragt, doch ich bin noch immer zu keinem sinnvollen Ergebnis gekommen, so kann ich nur ratlos mit den Achsel zucken.

 

Ich hasse es nicht im Bilde zu sein! Hoffentlich ändert sich das bald.

 

„Holen wir auf?“

 

Auf ihre Frage hin bleibe ich stehen und hocke mich hin, um die Spuren besser untersuchen zu können.

 

„Etwas, aber nicht viel, sie laufen schnell - jedenfalls versuchen sie es. Wir sollten uns bei ihnen dafür bedanken, dass sie uns den Weg bereitet haben, auch wenn der Wald sich erst in mehreren Jahrzehnten vollständig erholen wird.“

 

Ich erhebe mich wieder und falle in einen zügigen Trab, den wir beide mehrere Stunden aushalten werden.

 

„Was, glaubst du, wollen sie?“, fragt Mallanglîn weiter.

 

„Ich weiß es nicht. Spare lieber deinen Atem, es könnte dauern, bis wir sie eingeholt haben und dann solltest du besser nicht vor Erschöpfung fast zusammenbrechen.“

 

„Aber wir brauchen vielleicht Verstärkung.“

 

„Und wenn sie wieder in den Nebelbergen sind? Was wenn wir alle auf der Suche nach diesen Orks sind, die schon längst wieder in die Löcher zurückgekrochen sind, aus denen sie kamen, während ein anderer Trupp Imladris angreift, der aufgehalten worden wäre, wenn wir die anderen nicht geholt hätten?“

 

„Gut, aber wenn wir wissen … dass sie noch in der Nähe sind … holen wir … Verstärkung“, verlangt sie, durch das viele Reden und die scheinbar mangelnde Kondition leicht keuchend. Wie das trotz Glorfindels hartem Drill möglich ist, bleibt mir ein Rätsel.

 

„Gut“ Zufrieden ihren Willen zumindest teilweise durchgesetzt zu haben schweigt Mallanglîn.

 

D

 

Drei Stunden später…

 

„Wie weit … sind sie uns … jetzt noch voraus?“

 

„Sie waren vor etwa zehn Stunden hier.“ Bei allen Valar, das Mädchen sollte wirklich lernen Fährten zu lesen – es nervt nämlich wirklich, alle fünf Minuten dieselbe Frage gestellt zu bekommen.

 

„Haben wir dann … überhaupt noch … eine Chance sie … einzuholen?“

 

„Die Sonne ist vor fünf Stunden aufgegangen“

 

„Ja, und?“, ratlos sieht sie mich an, vergisst dabei auf den Weg zu achten und stolpert prompt über eine Wurzel. Nur mein schnelles Zupacken hindert sie daran nähere Bekanntschaft mit dem – hier doch ziemlich hartem - Waldboden zu machen. Scheinbar mögen die Valar und die Bäume nicht sonderlich, denn ich hätte schwören können, dass die Wurzel vorher noch nicht da gewesen war.

 

„Orks vertragen kein Sonnenlicht, sie müssen rasten, also haben sie nur noch fünf Stunden Vorsprung - wahrscheinlich sogar weniger - und sie bewegen sich auch die nächsten Stunden nicht weiter voran. Und jetzt weiter“, erkläre ich recht ungehalten und gebe ihr zum Schluss sogar einen leichten Schubs.

 

Widerspruchslos setzt sie sich wieder in Bewegung. So laufen wir einige Zeit weiter, bis ist das Zeichen zum Halten gebe.

 

„Was ist?“, raunt Mallanglîn nahe meinem Ohr.

 

„Riechst du das?“, erwidere ich ebenso leise.

 

Sie hebt sie Nase und wittert, wobei sie einem Tier nicht unähnlich sieht.

 

„Es riecht verbranntem Holz und Fleisch und noch etwas. Ich kann es nicht einordnen. Was ist das?“

 

„So riecht ein Dorf, das mit all seinen Bewohnern niedergebrannt ist“, wispere ich düster.
Neben uns erklingt ein verängstigtes Blöken. Erschreckt fahren wir herum und greifen nach unseren Waffen, doch ebenso schnell entspannen wir uns wieder, als wir realisieren, dass keine Gefahr droht.

 

Langsam gehe ich in die Hocke und stecke eine Hand mit der Handfläche nach oben nach dem Lamm aus, das sich unter einem großen Holunderbusch versteckt hat.

 

„Hey, na du. Was machst du denn da? Komm her, na komm!“, fordere ich das verängstigte Tier auf, wobei ich meiner Stimme einen möglichst sanften und beruhigenden Klang gebe.

 

Dies, noch dazu in Verbindung mit der elbischen Sprache zeigt tatsächlich Wirkung und das Lamm kommt vorsichtig aus seinem Versteck. Sanft kraule ich seinen – es ist es Männchen – Kopf.

 

„Was ist denn das?“, wundere ich mich.

 

„Was?“, fragt Mallanglîn sofort und beugt sich über das Jungtier, das erst erschreckt zusammenzuckt, dann jedoch erkennt, dass keine Gefahr besteht.

 

Vorsichtig teile ich das Fell im Nacken, das leicht Rosa ist, und eine Verletzung kommt zu Tage.

 

„Oh du Armer!“, ruft Mallanglîn aus und drückt dem Tierchen tröstend die Lippen auf den weichen Kopf.

 

„Wir müssen weiter.“ Ich richte mich wieder auf und klopfe die schwarze Erde von meinen Knien.

 

„Aber wir können ihn doch nicht einfach hier zurücklassen!“, ruft Mallanglîn, alle Vorsicht vergessend.

 

„Wir können und werden ihn hierlassen!“ Als ich ihren geschockten Blick sehe, tut mir meine scharfe Erwiderung fast ein wenig leid. „Du kannst ja später zurückkommen und ihn abholen“, gestehe ich ihr zu.

 

„Darf ich mich wenigstens um seine Wunde kümmern?“

 

„Ich gehe zum Dorf“, sage ich einfach, doch sie versteht und erkennt das zwischen den Zeilen gesagte „Ja“. Zaghaft lächelt sie mich an.

 

„Hannon le.(Danke) Ich nicke ihr zur Antwort kurz zu und mache mich dann auf den Weg. Der Wald ist hier zwar verhältnismäßig licht, dennoch muss ich meinen Umhang aus braunem elbischen Stoff mit den vielen Taschen Festhalten, damit er sich nicht in einem Busch mit gefährlich aussehenden, langen Dornen verfängt.

 

Gleich darauf stehe ich auf einer großen freien, von schwelenden Ruinen übersäten Fläche. Langsam gehe ich auf das einstige Dorf zu.

 

Vorsichtig steige ich über einen bestialisch stinkenden Hundekadaver, während ich einen seiner Artgenossen beobachtete, der winselnd vor einer der Hütten auf und ab trottet und versucht hineinzugelangen, jedoch von den immer wieder emporzüngelnden Flammen davon abgehalten wird.

 

Ein seltsamer Abdruck erregt meine Aufmerksamkeit. Er ist so lang wie mein Oberschenkel und so breit wie meine Schultern. Die Ränder dieses Abdrucks sind besonders stank verbrannt. Geschockt richte ich mich wieder auf.

 

„Mallanglîn“, brülle ich alle Vorsicht vergessend über die Lichtung und nur Augenblicke später sehe ich sie. Sie will auf die Lichtung eilen, doch ihr Umhang verfängt sich in ebenjenem Dornenbusch, den ich so vorsichtig umgangen habe.

 

„Was ist?“

 

„Komm einfach her!“ Sie schafft es sich aus den Fängen des Busches zu befreien rennt zu mir. Ich trete beiseite und gebe so den Blick auf den Abdruck frei.
Erschrocken schnappt sie nach Luft. „Wie… Das ist unmöglich! Der Balrog war doch in Gondor, er kann  nicht hier sein!“

 

„Und doch war er es. Der Balrog hat Gondor verlassen – oder es gibt mehr als nur einen Balrog.“ Unter ihrer sanft gebräunten Haut sehe ich sie erbleichen. Ich gehe zu ihr und nehme sie kurz in den Arm.

 

„Wir schaffen das!“, versichere ich ihr und bete, dass ich rechtbehalte. „Können wir weiter?“

 

Noch immer wie betäubt nickt sie.

 

„Sicher?“ Sie richtet sich auf, straft die Schultern und sieht mir fest in die Augen.

 

„Sicher!“, sagt sie bestimmt. „Werden wir ihm folgen?“

 

„Nein. Wir haben allein nicht die geringste Chance. Außerdem haben die Orks die Frauen und Mädchen dieses Dorfes entführt.“

 

„Was?!“, entgeistert starrt sie mich an.

 

„Die Leichen, die ich gefunden habe stammten ausschließlich von Männern und Jungen.“
„Dann los“ wir fallen wieder in einen zügigen Trab und  folgen weiter der Fährte.

 

„Sie haben sich etwa drei Stunden in dem Dorf aufgehalten. Wir werden sie wohl in einer halben Stunde eingeholt haben“, berichte ich Mallanglîn.

 

„Sollten wir nicht Hilfe holen?“

 

„Du hast Recht.“ Rasch klettere ich auf einen hohen Baum und stoße den vereinbarten Vogelruf aus – es ist der einer Krähe – darauf achtundzwanzigmal den eines Kuckucks und zuletzt noch den einer Amsel. Damit habe ich um Hilfe gebeten, ihnen mitgeteilt, wie viele es sind und, dass sie gefangene haben. Ich mache noch eine Pause, dann wiederhole ich das Ganze noch zweimal, um sicher zu gehen, dann klettere ich wieder herunter.

 

„Weiter!“, befehle ich knapp zu meiner Partnerin und gemeinsam rennen wir der Fährte weiter hinterher.

 


Ich denke jeder kennt das, wenn man etwas unbedingt will, sich zugleich aber auch davor fürchtet. Ich will so schnell es geht die Orks einholen, doch zugleich fürchte ich mich davor. Was wird mich dort erwarten? Ich weiß, dass ich den Gefangenen auch mit Mallanglîn Hilfe nicht werde helfen können. Ich frage mich, ob ich bei dem Anblick von den gefangenen Kindern in der Lage sein werde, Ruhe zu bewahren.

 

Wie es immer in solchen Situationen ist, konnte es mir nicht schnell genug gehen, doch als wir schließlich das widerliche Gackern der Orks hören können, wünsche ich mir, ich wäre weit weg und in Mallanglîns Augen sehe ich den gleichen Gedanken.
Ich schlage die Augen nieder, dann befehle ich Mallanglîn zu warten und klettere wieder auf einen Baum, um den Ruf zu wiederholen.

 

Wieder unten angelangt, laufe ich gemeinsam mit meiner Partnerin ein Stück. Nun hören wir ganz deutlich das Zischen und Gackern der Orks, dass uns in den Ohren schmerz,  und riechen ihren Gestank, der uns fast wahnsinnig macht, doch dann hören wir ein Geräusch, das uns dazu zwingt all unsere Beherrschung aufzubringen, um nicht sofort loszurennen und die Orks samt und sonders auszulöschen.

 

Es ist das verzweifelte Schluchzen eines kleinen Mädchens.

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