Kapitel 09

Nicht alle Katzen sind lieb

 

Leise stöhnend wache ich auf. Ich öffne die Augen und kneife sie mit einem weiteren schmerzvollen Stöhnen wieder zu. Die Sonne ist einfach viel zu hell! Ein fragendes Miauen erklingt neben mir. Gleich darauf spüre ich wieder die raue Zunge, die mich geweckt hat und mit nun über das Gesicht fährt. Verärgert schiebe ich die Katze beiseite und drehe mich auf die andere Seite. Doch so schnell gibt Rhovi nicht auf. Sie klettert über mich und beginnt wieder mich abzuschlecken. Verstimmt lasse ich sie gewähren und öffne ein weiteres Mal die Augen. Die Sonne ist immer noch so verflucht hell!

 

Murrend und schimpfend schwinge ich die Beine über die Bettkante und stehe auf – oder treffender: ich versuche aufzustehen. Kaum dass ich stehe beginne ich zu taumeln und falle wieder zurück. Beinahe wäre ich auf Rhovi gelandet, die sich mit einem empörten Fauchen in Sicherheit bringt.

 

„Selber schuld!“, grummle ich leise und halte mir den Kopf. „Was musst du mich auch so früh wecken?!“

 

Entschlossen versuche ich erneut aufzustehen. Diesmal gelingt es mir, auch wenn mich an einem der Bettpfosten festzuhalten muss. Stöhnend lehne ich mich schwer dagegen. Immerhin blendet mich die Sonnen nicht mehr ganz so sehr.

 

Ich warte bis der Schwindel vorüber ist, dann versuche ich mit kleinen Schritten zum Bad zu gelangen. Ich komme tatsächlich bis zur Wohnzimmertür, dann muss ich mich wieder eine Weile festhalten und darauf warten, dass die schwarzen Punkte, die vor meinen Augen tanzen, verschwinden.

 

Ich atme noch einmal tief durch und wanke dann zur Badtür. Auf dem Weg dorthin muss ich mich auf dem Sofa, einem Sessel und dem Kaminsims abstützen.

 

Ich öffne die Tür, trete fast in den Napf von Rhovansell, komme dann jedoch unbeschadet zum Waschbecken. Bis dahin ist meine Laune allerdings nicht mehr im Keller, sondern irgendwo sehr tief im Erdreich.

 

Ich klatsche mir eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht. Es muntert mich nur wenig auf, deshalb beschließe ich im Bruinen ein ausgiebiges Bad zu nehmen. Als ich den Kopf hebe, fällt mein Blick auf dem über dem Waschbecken angebrachten Spiegel. Entsetzt starre ich auf mein Spiegelbild. Das soll ich sein? Tief eingefallene trübe Augen, Augenringe bis zu den Knien, graues, zerknittertes Gesicht… Wie konnte das bloß passieren?

 

Angestrengt versuche ich mich zu erinnern. Keine gute Idee. Sofort werden meine Kopfschmerzen schlimmer. Ich beiße die Zähne zusammen und versuche es nochmal. Langsam kehren die Erinnerungen an den gestrigen Abend zurück. Wir drei, Glorfindel, Lirulin und ich, saßen doch lange zusammen, haben gescherzt und gelacht. Als es draußen dunkel wurde, zog Lirulin los, um Wein aus seinem Zimmer zu holen. Er kam mit drei Flaschen zurück. Erst tranken nur er und Glorfindel, dann jedoch, ließ ich mich auch zu einem Gläschen hinreißen, obwohl ich bisher kaum einmal einen Tropfen angerührt hatte und meine Trinkfestigkeit dementsprechend zu wünschen übrig ließ. Aus einem  wurden zwei, dann drei, dann vier… Wie viel ich letzten Endes getrunken habe, weiß ich nicht mehr. Ich frage mich, ob es Lirulin und Glorfindel genauso geht und wie sie in ihre Zimmer zurückgekommen sind.

 

In diesem Augenblick ertönt ein schmerzvolles Stöhnen aus dem Wohnzimmer. Etwa so leise wie ein Elefant schleiche ich zur Badtür. Dabei fällt mir auf, dass ich immer noch dieselbe Kleidung trage, wie am Vortag. Ich sehe ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa liegen, eng umschlungen Lirulin und Glorfindel. Ein Bild, das ich zu gern für die Ewigkeit festgehalten hätte. Der Vanya war es, dessen stöhnen mich auf sie aufmerksam gemacht hatte. Langsam öffnet er nun die Augen und betrachtet teils irritiert, teils verstört Lirulin. Dann fängt er an zu kreischen.

 

Mit einem Stöhnen und einem „Oh mein Kopf“ halte ich die Ohren zu. Lirulin fährt, von dem schrillen Kreischen geweckt auf und stimmt mit ein. Immerhin ist das Rätsel darum, wie die beiden es geschafft hatten, in ihre eigenen Gemächer zurückzukommen nun gelöst - nämlich gar nicht.

 

Die Tür wird aufgerissen. Erestor stürmt mit einem Dolch und einem dicken Buch bewaffnet in den Raum. Verwundert bleibt er stehen. Und dann, ganz langsam breitet sich ein irgendwie mutwilliges grinsen auf seinem Gesicht aus. Das sich ihm bietende Bild muss aber auch sehr merkwürdig aussehen. Ich stehe mir leidender Miene in der Badtür und halte mir die Ohren zu. Auf dem Sofa sitzen Lirulin und Glorfindel, wohlgemerkt immer noch eng umschlungen, sehen sich an und kreischen wie verrückt.

 

Feixend marschiert Erestor auf die beiden Schreihälse zu und verpasst  jedem mit seinem Wälzer einen leichten Klaps. Sofort hören sie auf zu schreien, lassen sich los und halten sich wimmernd den Kopf.

 

Missbilligend eine Augenbraue hebend betrachtet der einzige nicht leidende die drei leeren Weinflaschen, die Rotwein Pfütze auf dem Tisch und das umgekippte Glas. Zuletzt lässt er seinen Blick über und drei schweifen. Kopfschüttelnd dreht er sich um und will gehen, doch grade als er die Hand nach der Klinke ausstreckt, öffnet sich die Tür und Elrond erscheint.

 

Kurz mustert er uns, dann dreht er sich um und verschwindet mit den Worten: „Ich hole etwas gegen den Kater.“ gefolgt Erestor, der uns noch einen strafenden Blick zu wirft, sein strafendes Schweigen jedoch nicht bricht.

 

Ich drehe mich wieder um und klatsche mir noch eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht. Etwas munterer wanke ich zu den anderen und lasse mich neben ihnen auf das Sofa fallen. In stillem Einverständnis, das nur jenen zu eigen ist, die dasselbe ertragen müssen, leiden wir (fast) stumm vor uns hin.

 

„Ich glaube weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen“, meint Lirulin und deutet schwerfällig auf die leeren Flaschen, die Gläser und die Pfütze. Glorfindel und ich nicken mit schmerzverzerrter Miene. Dann leiden wir schweigend weiter.

 

Die Tür öffnet sich nach einer gefühlten Ewigkeit und Elrond kommt, begleitet von Niqesse, herein. Sofort erfüllt ein ekelerregender Gestank meine Wohnung. Rhovi scheint derselben Meinung zu sein und verschwindet gemeinsam mit Niqesse in meinem Schlafzimmer. Sehnsüchtig blicke ich ihnen nach. Zu gern würde auch ich dem grauenhaften Gestank, der von einer Tasse in Elronds Hand ausgehet, entfliehen.

 

„Das ist Elronds Katertrunk Das einzige was schlimmer ist als der Geruch, ist der Geschmack“, murmelt Glorfindel beinahe schon ängstlich. Elrond kommt mit dem besagten Getränk näher.

 

„Wer will als erstes?“ Lirulin und Glorfindel heben sofort abwehrend die Hände mit der Beteuerung, es ginge ihnen schon wieder ausgezeichnet.

 

Elrond sieht mich fragend an.

 

Zögernd nicke ich und er drückt mir die Tasse in die Hand.

 

Ich atme tief durch, halte mit die Nase zu und schütte möglichst viel von dem Katertrunk herunter.

 

Panisch drücke ich die Tasse Lirulin in die Hand und sprinte mit vor den Mund gepresster Hand zum Fenster. Eilig reiße ich es auf und inhaliere tief die frische Luft. Nur langsam lässt die Übelkeit nach. Anscheinend hat auch Lirulin sich überwunden, denn er gesellt sich, ebenso wie kurz darauf auch Glorfindel, zu mir.

 

„Nie wieder!“, stöhne ich.

 

„Was? Elronds wundertrank oder den Wein?“, erkundigt sich Glorfindel mit gepresster Stimme.

 

„Beides“                

 

„Ihr solltet euch ausruhen“, rät uns Elrond und wir nicken mit angstvollen Blicken auf das Gebräu, dass der Lord inzwischen wieder an sich genommen hat.

 

Lirulin macht es sich auf dem Sofa bequem, während Glorfindel mit dem Sessel vorliebnimmt. Ich lege mich gemeinsam mit Rhovansell in mein Bett und kurz darauf gesellt sich auch Niqesse zu uns.

 

D

 

Das Klappern von Geschirr weckt mich einige Stunden später auf. Erstaunlicherweise hat der Katertrunk wirklich gewirkt. Mir ist überhaupt nicht mehr übel und ich habe auch keine Kopfschmerzen mehr.

 

Fröhlich vor mich hin summend wechsle ich die Kleidung und kämme mir flüchtig die Haare. Selbst diese recht schmerzhafte Prozedur kann meine Laune nicht trüben.

 

Mit einem zufriedenen Lächeln öffne ich die Tür und betrete das Wohnzimmer. Erestor steht neben dem Tisch auf dem er grade ein beladenes Tablett abgestellt hat. Auf dem Tablett befindet sich allen möglichen Speisen, die mir das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen

 

„Danke Eres. Du bist der Beste!“, strahlt Glorfindel, der immer noch in dem Sessel sitzt, auf dem er die Nacht verbracht hat  und zieht den sich halbherzig sträubenden Elben auf seinen Schoß.

 

„Wunderst du dich den gar nicht?,“ fragt Erestor an mich gewandt, den Kampf gegen den mehr als zwei Köpfe größeren Vanya aufgebend. Ich verneine. Auf Erestors Wangen hatte sich, als er mich fragte ein für ihn ungewöhnlicher rosa Schimmer gelegt und ich will ihn nicht in Verlegenheit bringen

 

„In meiner Heimat ist es egal ob man man… Männer oder Frauen bevorzugt, Hauptsache man ist ein guter Kämpfer und ist dem Stamm loyal.“ Die Beiden scheinen mit meiner Antwort zufrieden und widmen sich dem Essen. Lirulin und ich folgen sofort ihrem Beispiel nachdem ich mich auf das Sofa gesetzt hatte.

 

„Was ist das?“, frage ich und deute auf kleine schwarze Kügelchen.

 

„Das, meine Liebe, ist Kaviar - Fischeier“, erklärt Glorfindel bereitwillig mit vollem Mund, wofür er von Erestor einen Klaps auf den Hinterkopf gestraft wird, bevor der Schwarzhaarige sich an mich wendet.

 

„Kaviar ist sehr wertvoll und daher auch Teuer. Er kommen aus Mithlond, da allein Círdan weiß, wo man den Kaviar findet und er hütet dieses Wissen wie einen Schatz“, belehrt mich Erestor und klingt dabei, als würde er aus einem Buch ablesen. Hinter seinem Rücken verdreht Glorfindel die Augen, eine Geste, die Lirulins Mundwinkel verdächtig zucken lässt. Eilig verbirgt er seinen Mund mit der Hand, doch Erestor hat es dennoch bemerkt und knurrt wie ein sehr hungriger oder sehr wütender Wolf – auseinanderhalten konnte ich das noch nie, doch ich gehe eher von Letzterem aus. Trotz seiner geringen Körpergröße wirkt es bedrohlich, doch da sich die Krieger nicht aus der Ruhe bringen lassen und Glorfindel sogar den Nerv hat, dem Bücherwurm in die Seite zu knuffen, scheint alles in bester Ordnung zu sein.

 

Gemütlich sitzen wir beisammen und unterhalten uns. Irgendwann ist Rhovi auf meinen Schoß gesprungen, sie scheint mir schon nach dieser kurzen Zeit wirklich zu vertrauen, und ich streichle sie nun während sie beängstigend laut schnurrt. Nur ab und an blinzelt sie Glorfindel missmutig an, wenn dieser mal wieder zu laut und zu plötzlich in schallendes Gelächter ausbricht.

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