Kapitel 03

Neues Zuhause

 

Die Schlucht barg eine wunderschöne Stadt. Sie war ganz und gar weiß. Die Fenster- und Torbögen sind mit filigranen Mustern versehen, alles wirkt edel und dennoch nicht angeberisch. Zahllose elegant geschwungene Brücken spannen sich über kleine Bäche und Wasserfälle, in deren Gischt sich die Sonnenstrahlen brechen und den Eindruck vermitteln, es seien tausende kleine Diamanten. Wundervolle, sorgsam gepflegte Gärten runden das Bild einer Stadt im völligen Einklang mit der Natur ab. Es ist ein Bild absoluter Vollkommenheit, das sich mir eröffnet.

 

Die Schönheit dieses Ortes treibt mir Tränen in die Augen. Schnell blinzle ich sie weg. Vorsichtig sehe ich zu Glorfindel, hoffentlich hat er nichts bemerkt. Nein hat er nicht. Er steht aufrecht da und betrachtet stolz die Stadt, so wie mein Vater mich ansah als ich es das erste Mal schaffte, mich unter einem galoppierenden Pferd durch zu hangeln. „Das ist Imladris, Bruchtal wie es die Menschen nennen. Das letzte Heimelige Haus vor Mithlond“, eröffnet mir der Blonde. „Imladris“, ich spreche den Namen sehr langsam aus und lasse ihn mir regelrecht auf der Zunge zergehen  „Es ist wunderschön!“ „Ja… Ja das ist es!“, bestätigt der Lord. Dann geht er plötzlich mit zügigen Schritten los und bedeutet mir, ihm zu folgen. Immer noch fasziniert komme ich der Aufforderung nach.

 

Im Tal angekommen wird mir meine heruntergekommene Erscheinung einmal mehr bewusst, vor allem da mich viele der sorgsam gekleideten und frisierten Elben abschätzend und teilweise sogar verächtlich ansehen. Ich atme tief durch um mich zu beruhigen - es würde schlecht ankommen, wenn ich dem nächsten, der mich schief ansieht, meinen Dolch ins Herz ramme - und setze eine emotionslose Miene auf.

 

Ganz anders ist es bei Glorfindel. Er wird von allen freundlich begrüßt, manchmal sogar mit einer Verbeugung. Mit einem immerwährenden, strahlenden Lächeln, das sogar gekünstelt echter aussieht als meines, wenn es aus tiefsten Herzen kommt. Mit einigen unterhält er sich kurz oder tauscht einfach nur ein paar Höflichkeitsfloskeln aus. Alles in allem für ihn ein freundlicher Empfang. Ich laufe einfach nur hinterher.

 

Nachdem wir auf diese Weise etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten, winkt  Glorfindel einen jungen Elben zu sich und sagt zu ihm einige Worte auf Elbisch, dann nimmt er vier Münzen aus seinem Geldbeutel und gibt sie dem Jungen. Mit einer Verbeugung, einem strahlenden Lächeln sagt er immer wieder: „Hanon le, hîr nín, hanon le!“ (Danke, mein Herr, Danke) Glorfindel grinst bloß: „noro lim, penneth!“ (lauf schnell, Junge!) Weiterhin grinsend fordert er mich wieder auf ihm zu folgen.

 

Kurz darauf  kommen wir am Haupthaus an. In diesem Moment kommen ein dunkelhaariger großer Mann und ein zierlicher Schwarzhaariger in Begleitung einer hellblonden, hübschen Frau aus dem Tor.

 

„Ich heiße euch in Imladris willkommen Lady Sureto“, sagt der Dunkelhaarige mit einer volltönenden, angenehmen Stimme, während mich der Schwarzhaarige misstrauisch aus fast schwarzen Augen mustert. Diese Augen erinnern mich aus unerfindlichen Gründen an den Wolf, den ich aufgezogen hatte, als ich noch ein Kind war.

 

„Möchtet ihr hereinkommen?“, fragt mich die Frau mit einer sanften, aber doch autoritären Stimme. Ich nicke einfach nur leicht. Sie lächelt warm und geht mit geschmeidigen Schritten, gefolgt von den Männern wieder hinein. Fragend sehe ich Glorfindel an. Dieser nickt mir aufmunternd zu und setzt sich in Bewegung. Achselzuckend folge ich ihm mal wieder.

 

Staunend sehe ich mich um. An den Wänden und sogar an der hohen Decke sind kunstvolle Reliefs angebracht, an den Wänden hängen außerdem wunderschöne Gemälde und sogar der Boden ist mit verschiedenfarbigen Mustern verziert. Große Fenster, die bis auf den Boden reichen, lassen Licht in den Raum und man kann das Singen der Wasserfälle und der Vögel hören. Ein Kamin an der Stirnseite des Raumes schafft eine heimelige Atmosphäre.

 

Die Frau steuert eine kleine Sitzgruppe an. Vorsichtig setze ich mich auf den Sessel, der der Frau gegenüber steht. Sofort sinke ich tief ein. Erschrocken keuche ich auf. Der Dunkelhaarige und die Frau lächeln amüsiert, hinter mir höre ich Glorfindel leise Glucksen. Der Schwarzhaarige dagegen zeigt weiterhin keine Emotion. Langsam bekomme ich wirklich Angst. Ich versuche mich zu beruhigen. Als ich dabei eine Hand auf die Lehne lege stelle ich fest, wie wunderbar weich er ist. Bewundernd streiche ich darüber.

 

„Was ist das?“, frage ich niemanden bestimmten.

 

„Das ist Samt, mein Kind“, antwortet die hübsche Blonde mit einem leisen Lachen.  Auf einmal räuspert sich der mit den Wolfsaugen „Nun, da ihr mit unserem Sessel Bekanntschaft geschlossen habt können wir ja anfangen.“ Er hat eine dunkle, tiefe Stimme, die, wie sein Gesicht, vollkommen emotionslos ist und nicht recht zu den feinen, fast femininen Zügen und der zierlichen Statur passen will. Sofort ist die fröhliche Stimmung gebrochen. Der Dunkelhaarige nickt knapp und beginnt: „Also Lady Sureto, ihr fragt euch bestimmt, wer wir sind“. Ich nicke bestätigend, „das“ -er deutet auf den Schwarzhaarigen-„ist Lord Erestor, mein oberster Berater und ein begabter Diplomat. Sie“-er zeigt auf die Frau-„heißt Celebraìn und ist meine Gemahlin“-Celebraìn lächelt mich freundlich an- „Lord Glorfindel kennt ihr ja bereits, er ist mein zweiter Berater und Heerführer. Ich bin Lord Elrond, der Fürst dieses Tales“

 

„Und woher kommt ihr Lady Sureto?“, wieder diese kalte Stimme! Jedes Mal, wenn Erestor spricht, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich bemerke wie Elrond mich fragend ansieht. „Ich komme aus dem Land der großen Mutter*4… äh, aus Kanada, meine ich“ Wieder mustert mich Erestor eingehend. „Seid ihr eine Dakota?“, fragt er dann unvermittelt. „Ja“, antworte ich überrascht „woher wisst ihr das?“

 

„Eure Kleidung“ sagt er nur. Ich nicke verstehend. Jeder Stamm hat spezielle Muster, Leder und sogar Frisuren.

 

„Zu welcher Jägergruppe gehört ihr?“

 

„Zur Bärenbande“. Elrond und Celebraìn sitzen daneben und die imaginären Fragezeichen sind ihnen deutlich an zu sehen. „Woher weißt du das?“, erklingt Glorfindels Stimme hinter mir.

 

„Nach dem Fall von Gondolin reiste ich lange ziellos umher. Lange Jahre kam ich dabei bei den Dakota unter. Dort lernt man dann so einiges“, antwortet Erestor, wobei ich glaube einen leicht melancholischen Ausdruck in seinen Augen zu sehen.

 

„Ich kenne dich nun schon so lange und trotzdem überraschst du mich immer wieder von neuem“, schmunzelt Elrond. Erestors Mundwinkel verziehen sich zu etwas, dass wohl ein Lächeln darstellen soll, jedoch einfach nur gruselig ist. Dann sieht er wieder zu mir und fragt weiter: „Wer ist der Häuptling der Bärenbande?“

 

„Tokei-ihto.“

 

„Wer ist dein Vater?“

 

„Ebenfalls Tokei-ihto“

 

„Deine Mutter?“

 

„Sitopanaki vom Stamm der Siksika*5.“

 

„Geschwister?“

 

„Ich hatte mal einen Bruder aber der ist bei einem Reitunfall gestorben, noch vor meiner Geburt.“

 

„Verheiratet?“

 

„Nein.“

 

„Was ist deine Aufgabe?“

 

„Jägerin und Kriegerin.“

 

„Wie…“

 

„Es reicht Erestor!“, unterbricht Lord Elrond unser Frage-Antwort Spiel ruhig, jedoch unverkennbar verärgert. „Wollt ihr hier bleiben, Lady Sureto?“

 

„Wenn ich darf, sehr gern.“ Beinahe hätte ich begeistert in die Hände geklatscht. „In Ordnung“, mischt sich nun auch Celebraìn ein. „Minuial wird euch auf euer Zimmer führen.“ Sofort kommt eine junge Frau mit hüftlangen, kastanienbraunen Haar und grünen Augen auf uns zu, verneigt sich eilig und bedeutet mir dann, ihr zu folgen, was ich auch sofort tue. Auch in dem weitläufigen Flur sind die Wände fantasievoll gestaltet. Bewundernd versuche ich alles gleichzeitig anzusehen. So muss ich immer wieder ein Stück rennen, um Minuial wieder einzuholen.  Nach einiger Zeit und sehr vielen Fluren - ich glaube ich werde allein nie den Weg hinaus finden - standen wir endlich vor der Tür meines neuen Heims. „Euer Schlüssel, Lady“ sagt Minuial. „Braucht ihr noch etwas? Vielleicht neue Kleidung?“

 

„Ich glaube, dass wäre nicht verkehrt“, antworte ich mit einem skeptischen Blick auf meine mehr als nur leicht mitgenommene Kleidung.

 

 „Habt ihr spezielle Wünsche, was die Kleider betrifft?“

 

„Also erst einmal hätte ich lieber Hose und Hemd, statt eines Kleides. Sie sollten dunkel sein und zweckmäßig. Die Schuhe sind mir ziemlich gleich.“ Verwundert sieht sie mich an, dann nickt sie. „Wollt ihr auch ein Bad nehmen?“ Innerlich jubele ich auf. Das wird ja immer besser! Begeistert nicke ich heftig. Sie lächelt zurückhaltend, macht einen eleganten Knicks und geht zielsicher davon. Ich betrachte den interessant aussehenden Schlüssel, kurz bevor ich ihn ins Schloss stecke. Lautlos öffnet sich die gut geölte Tür.

 

Staunend sehe ich mich in dem riesigen Zimmer um. Das gigantische Doppelbett hat mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Pfosten und einen beigen Vorhang. Das sorgsam gefaltete Bettzeug scheint mit Daunen gefüttert zu sein und ist ebenfalls in einem eleganten Beige gehalten. Obendrein ist es mit aufwendigen goldenen Mustern bestickt. Ich lege vorsichtig meine Waffen darauf ab. Das einzig saubere, das ich hab. Ansonsten ist der Raum noch ein Kleiderschrank und eine Kommode, die ebenfalls mit Schnitzereien verziert sind ausgestattet. Ein bequem wirkendes Sofa in - wer hätte es gedacht – beige, dazu zwei Sessel, deren Polster dieselbe Farbe haben, runden das Bild ab. Auf dem Sofa liegen außerdem eine gefaltete Decke und einige Kissen. Auf dem massiven und trotzdem eleganten Schreibtisch aus dunklem Holz in der Ecke stehen zwei Tintenfässer, daneben Federn und Pergament, das ungewöhnlich hell und dünn ist. Der große Kronleuchter ist mit Glasperlen behangen. Alles ist perfekt aufeinander abgestimmt und hat durch das im Kamin flackernde Feuer und die großen Fenster eine gemütliche Atmosphäre.

 

An einer Seite des Raumes ist eine weitere Tür, die ich neugierig öffne. Verwundert blicke ich auf einen Zuber und zwei in unterschiedlicher Höhe abgebrachte Becken, deren Sinn ich nicht verstehe und schon gar nicht den des Kastens, an dem eine Schnur befestigt ist, über dem niedrigeren Becken. Ohne mir etwas dabei zu denken, ziehe ich an dieser und springe mit einem erschrockenen Aufschrei zurück. Als ich an der Schnur zog, kippte der Kasten leicht und laut rauschend floss Wasser in das Becken und verschwand sogleich mit einem gurgelnden Laut wieder.

 

„Ist alles in Ordnung, Lady Sureto?“ Wieder mache ich einen Hüpfer und quieke überrascht, als ich eine besorgte Stimme hinter mir höre, die ich kurz darauf als Glorfindels identifiziere.

 

„Ihr solltet mich doch nicht mehr mit Lady ansprechen.“ versuche ich meine Überraschung zu überspielen.

 

„Entschuldigt Sureto, was ist denn nun?“, hakt er nach. Ich deute stumm auf das komische Becken. Er sieht es kurz an, dann mich „Was ist damit?“, fragt er verständnislos.

 

„Da kommt Wasser raus“

 

„Ja und?“, fragt er, als sei das das Normalste auf der Welt.

 

„Was und?“ Gut, das war vielleicht ein wenig patzig. Entschuldigend sehe ich ihn an. Er nimmt es mit einem Nicken zur Kenntnis. Ich bin eben noch ein wenig durch den Wind.

 

 „Kennt ihr keine Toiletten?“, will der Heerführer nun wissen.

 

„Toi-was?“ Was, bitteschön, sollte das denn nun schon wieder sein?!

 

„Toiletten“ wiederholt er, jeden Buchstaben einzeln betonend. Auf meinen fragenden Blick hin seufzt er und beginnt mir zu erklären, wie so ein Ding funktioniert und wozu es da ist. Meiner Meinung tut`s ja auch ein Busch. Aber egal, wieder etwas Neues gelernt. Danach das Gleiche bei den anderen beiden. Das obere Becken ist ein Waschbecken und der Zuber eine Badewanne. Zum Baden gibt es sogar warmes Wasser. Man musste nur etwa eine viertel Stunde vorher Bescheid geben, damit das Wasser erhitzt werden kann. Und noch einiges mehr erklärte er mir bis jemand schließlich an der Tür klopft und mich erlöst.

 

„Herein“, rufe ich und versuche meine Erleichterung zu verbergen. Es gelang mir wohl nicht sonderlich gut, denn Glorfindel wirft mir einen schiefen Seitenblick zu. Die Tür geht auf und Minuial kommt mit Kleidung beladen ins Zimmer. Mit hochgezogenen Augenbrauen quittiere ich die drei Kleider, die sie mir neben der gewünschten Kleidung mitgebracht hatte. Das Dienstmädchen folgt meinem Blick. „Lady Celebraìn hat darauf bestanden, dass ihr auch Kleider bekommt und sie sagte, dass es sie freuen würde, wenn ihr eins zum Abendmahl anziehen würdet“, sagte sie leise, den Blick scheu zu Boden gerichtet. „Wenn Lady Celebraìn das möchte, werde ein wohl Kleid anziehen“, seufze ich wenig begeistert. Minuial nickt strahlend. Dann betrachtet sie mich eingehend.  „Ihr solltet wirklich ein Bad nehmen, Lady“, kommentiert sie mein verwildertes Aussehen. „Werde ich machen, keine Sorge.“

 

Sie nickt. „Lady, erlaubt ihr, dass ich mich nun entferne?“

 

„Selbstverständlich“, antworte ich verwundert darüber, dass sie meine Erlaubnis braucht, um gehen zu dürfen. „Und ehe ich es vergesse, euer Wasser ist warm“, ruft sie mir, schon halb auf dem Flur, zu. „Nun da ihr jetzt sicher baden wollt, werde ich mich nun ebenfalls entfernen“, verkündet Glorfindel schief lächelnd und folgt Minuial.

 

Langsam gehe ich in das geräumig angelegte Bad. Vorsichtig drehe ich den Wasserhahn auf. Das Wasser ist tatsächlich warm! Als der Zuber – nein - die Badewanne voll war, ziehe ich mich aus und steige in das lauwarme Wasser. Genüsslich seufzend lasse ich mich hineingleiten und lege meinen Kopf auf den Wannenrand. Mit geschlossenen Augen bleibe ich eine Weile so liegen und sinne darüber nach, wie die Bruchtalelben dieses technische Wunderwerk vollbracht haben. Dann beginne ich, mir den Schmutz aus den Haaren zu waschen. Das Badewasser ist mittlerweile schon sehr dreckig und so beschließe ich meine Kleidung, wenn ich fertig bin, ebenfalls in dem Wasser zu waschen. Ich lasse mich mit geschlossenen Augen, mit mir und der Welt zufrieden, zurück ins warme Wasser gleiten.

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