Kapitel 05

Erinnerungen & Mahlzeit

 

Die riesige Tafel biegt sich förmlich unter den Mengen von Essen! So viel und vor allem so Unterschiedliches hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Mit tellergroßen Augen sehe ich mich um. Unglaublich!

 

„Seid gegrüßt, Lady Sureto. Ihr seht umwerfend aus“, begrüßt mich Lord Elrond mit einem freundlichen Lächeln und zeigt mir meinen Platz.

 

Von dort aus beobachte ich nun das bunte Treiben. Minu hatte mich, bevor sie ging, noch kurz in die Höflichkeitsformen eingewiesen und, bei Wakan Tanka - dem großen Geheimnis, es waren Massenhaft!

 

Noch mehr Elben und Elbinnen sind seitdem gekommen. Auch Erestor und Glorfindel sind da – was vermutlich auch selbstverständlich ist, wenn sie die Berater  des Fürsten dieses Tals sind - und flankieren das Herrscherpaar. Interessiert beobachte ich das Treiben um mich herum.

 

„Gefällt es euch hier?“, fragt mich plötzlich der neben mit sitzende Elb. Er hat ein sanftes Gesicht und Augen, die aussehen wie die eines unschuldigen Kindes.

 

„Es ist sehr schön hier“, antworte ich ausweichend.

 

„Ja, ja das ist es“, stimmt er mir mit einem verträumten Lächeln zu, ohne dies zu bemerken. „Ich bin Lindir“, stellt er sich dann vor. „Sureto“, erwiedere ich und ergreife die dargebotene Hand.

 

„Ihr seht sehr schön aus.“ Ich bin zwar diesbezüglich nicht seiner Meinung, aber er mir trotzdem sympathisch

 

„Du.“ Verdattert sieht er mich an „Ihr könnt mich duzen“, helfe ich ihm mir einem leichten Grinsen auf die Sprünge. „Fein! Du mich dann aber auch“, fröhlich blinzelt er mir zu und wir besiegeln das Ganze mit einem Handschlag.

 

Elrond klopft leicht mit einem der Silber Löffel gegen sein Glas. Sofort ist es mucks-Mäuschen still, man hätte vermutlich eine Stecknadel fallen hören können. Mit einem mutwilligen grinsen ziehe ich eine der vielen Haarnadeln aus meinen Haaren und lasse sie fallen - alle drehen sich wie auf Kommando zu mir um.

 

„Verzeihung“, murmle ich gespielt reumütig, während ich innerlich an einem Lachkrampf verrecke. Also man kann hier zumindest eine Haarnadel fallen hören. Elrond nickt mir freundlich zu und beginnt mit seiner Rede:

 

„Danke, dass ihr alle gekommen seid. Wie sicher alle bemerkt haben, weilt ein neuer Gast unter uns“ Er bedeutet mir aufzustehen und ich komme seiner Aufforderung wiederstrebend nach. Ich hasse es im Mittelpunkt zu stehen. „Ihr Name ist Lady Sureto Tokei-ihtosell (Tokei-ihtos Tochter) und sie wird eine Weile bei uns bleiben. Und nun wünsche ich einen guten Appetit.“ Er setzt sich wieder und die Gespräche setzen sofort wieder ein. Mehr als einmal fällt dabei mein Name.

 

„Das eben war Absicht, oder?“, fragt Lindir leise und ich nicke mit einem diabolischen Grinsen, er erwidert es und schüttelt nicht ganz ernsthaft tadelnd den Kopf. Lächeln wenden wir uns unserem Essen zu. Dabei beschäftigt mich wieder Erestor. Woher hat er diese Verletzung? Verstohlen sehe ich zu Lindir - vielleicht weiß er etwas.

 

„Lindir“, mache ich ihn auf mich aufmerksam

 

„Ja?“

 

„Weißt du wo Lord Erestor die Verletzung am Rücken her hat?“ Mit weit aufgerissenen Augen sieht er mich an.

 

„Woher weißt du das?“ flüstert er gehetzt und schielt zu Erestor, welcher jedoch grade von Glorfindel in ein Gespräch verwickelt wird. Hat er etwa Angst? Völlig verwirrt antworte ich: „Ich hab doch Augen im Kopf. Er läuft so, als ob er schmerzen hätte. Hier-“ Ich zeige mit einem Finger auf die obere Lendenwirbelsäule „Er läuft sehr steif, allerdings auf eine Weise, die nicht von übermäßiger Arroganz zeugt, auch wenn er durchaus so wirkt.“

 

„Er-“ Lindir zögert unschlüssig und sieht zu dem Grund unserer Unterhaltung, so als hätte er Angst, Erestor könnte plötzlich hinter uns stehen. Dann beugt er sich unauffällig zu mir hinüber. „In der Schlacht mit den Bergtrollen wurde er von einem dieser Ungetüme angegriffen. Er hatte zuvor noch nie einen gesehen und bekam Angst - man muss ihm zugutehalten, dass er noch sehr jung und unerfahren war. Er wollte fliehen, doch der Troll schlug ihm die mit Metalldornen versehende Keule in den Rücken.“ Zum Ende wurde Lin - so nenne ich ihn ab jetzt einfach - immer leiser. „Er hasst es Schwächen zu haben und auf irgendeine Weise verletzlich und angreifbar zu sein.“ Lin setzt sich wieder normal hin - das Zeichen, dass unser Gespräch jetzt beendet ist. Auch wenn er mir noch immer unheimlich ist, habe ich Mitleid mit Erestor. Ich erinnere mich wieder an einige der Elbisch Lektionen meines Vaters. Erestor, heißt glaub ich, Bruder der Einsamkeit.

 

„Lindir. Erfreue uns doch mit ein wenig Musik.“ Elrond deutet auf eine Seite des Raumes, wo mehrere Instrumente stehen. Lin nickt und setzt sich an eine der beiden Harfen und beginnt zu spielen. Erst langsam und zögernd, so als wollte er sich an den Klang gewöhnen. Nach kurzer Zeit hört er auf, setzt sich gerader hin und atmet tief durch. Dann schließt er die Augen und beginnt zu spielen. Sofort ist es wieder still, doch ich wiederhole mein Experiment nicht. Zu sehr fesselt auch mich die leise Melodie. Niemand im Raum rührt sich, es ist als wäre ein Bann auf alle gelegt worden.

 

Erst als Lin aufhört zu spielen, regen sie sich wieder. „Vielen Dank Lindir. Du schaffst es jedes Mal aufs Neue uns zu verzaubern“, lobt Elrond Lindir lächelnd und Celebraìn nickt bestätigend mit einem verträumten Ausdruck in den blauen Augen. Als wäre das ein Zeichen gewesen  setzen die leisen Gespräche wieder ein. Der Musiker bedankt sich höflich mit einer leichten Verbeugung und setzt sich wieder.

 

„Wo hast du gelernt so zu spielen?“, frage ich neugierig, kaum, dass er wieder sitzt.

 

„Ich habe es mir selbst beigebracht.“ Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Beeindruckend! „Woher kommst du eigentlich?“, wechselt er abrupt das Thema.

 

„Aus Kanada, vom oberen Missouri.“ Wahrscheinlich kann auch er damit nichts anfangen, doch er lässt es sich nicht anmerken.  „Wie ist es da so?“  

 

„Es ist wunderschön. Wie Imladris, aber auf eine andere, wildere Art.“ Bei diesen Worten habe ich wieder das Bild meiner Heimat vor Augen. Die klaren Bäche, Prärien, Kiefernwälder, Berge, Seen… Warum bin ich bloß gegangen?

 

„Auf welche Art ist Imladris schön?“, holt er mich in das hier und jetzt zurück. „Auf eine perfekt Art. Alles hat seinen Platz und seine Ordnung. Kanada ist Wildnis. Es hat zwar auch seine Ordnung, jedoch… sie ist schwerer zu verstehen. Der Reiz ist, dass man nie weiß was als nächstes geschieht. Ob man hungern oder ob man satt und zufrieden sein wird. Ob man morgen stirbt oder noch viele Jahre lebt. Kein Tag ist wie der andere. Eine falsche Entscheidung kann den Tod einer ganzen Jägergruppe bedeuten.“ All dies ist meine eigene Erfahrung, aber ich weiß nicht warum ich ausgerechnet ihm all das erzähle. Ich kenne Lin doch erst seit dem Beginn dieses Essens.

 

„Erzählst du mir ein andern mal mehr?“, wissbegierig ist er ja nun gar nicht.

 

„Gerne“ Ich kann’s ihm ja gemeinsam mit den Zwillingen erzählen, denen ich es schließlich gestern ebenfalls versprochen habe. Und ich halte immer meine Versprechen! Hau

 

Wieder muss ich an das Harfenspiel Lindirs denken. Auch dies war nahezu perfekt. „Spielst du nur für Lord Elrond oder auch für andere?“

 

„Ich komme nur selten aus Imladris hinaus. Auch hier ist die Umgebung gefährlich. Orks sind in der Nähe, doch Bruchtal wird von der Macht Vilyas beschützt  und jene die es doch fanden töteten die Grenzwächter. Ich bin Musiker. Ich kann zwar etwas kämpfen, doch lange nicht gut genug um mich auf längere Zeit gegen mehrere Orks zu verteidigen und Glorfindel kann keine Soldaten entbehren. Als spiele ich nur hier. Doch dafür für alle.“

 

Ich mustere Lindir von oben bis unten. Mir fällt auf, dass er dafür, dass er nur Musiker ist, ungewöhnlich muskulös ist. Bei den Weißen ist mir aufgefallen, dass sich viele auf einen einzigen Beruf konzentrieren und zu allem anderen nahezu unfähig sind. Manche können bauen, andere kämpfen, kochen, jagen, Vieh hüten oder den Boden bestellen… bei den Dakota gibt es zwar weniger Arbeiten, doch dafür beherrschen alle alles. Lindir war wohl mal Krieger und ist nun Musiker, scheint aber dennoch recht gut kämpfen zu können. „Wie kam es, dass du Musiker wurdest?“ Er denkt kurz nach. „Ich war früher Lord Erestors Assistent und habe manchmal ein wenig auf einer selbst gebastelten Lyra gespielt. Ich spielte Erestor ganz gerne Streiche und irgendwann hat er sich an mir gerächt. Er wusste, dass ich spielen konnte, jedoch schüchtern war und hat vorgeschlagen, dass ich auf einem Fest spielen solle. Nun… es lief gut und ich spielte immer öfter vor vielen und verlor nach und nach meine Angst. Jetzt bin ich eben nur noch Musiker“, erzählt er lächelnd. Wir unterhalten uns noch ein wenig und dann ist das Essen auch schon zu Ende.

 

Lord Elrond wünscht uns allen eine erholsame Nacht und gleich darauf kommt Erestor auf uns zu.

 

„Guten Abend“, grüßt er höflich und wir erwidern den Gruß ebenso höflich. „Soll ich euch wieder zu eurem Zimmer führen?“ Mit dieser Frage hatte ich am wenigsten gerechnet. Dennoch bin ich froh, dass ich mich nicht durchfragen muss oder jemanden bitten muss, mich zu meinem Zimmer zu bringen. Daher nehme ich freudig an.

 

Ich wünsche dem Musiker noch eine gute Nacht und folge dann Erestor. Er scheint etwas zu viel von dem edlen Rotwein getrunken zu haben – den ich nicht angerührt hatte, obwohl Lindir in mir ausdrücklich empfohlen hatte – und wirkte angeheitert, jedoch nicht betrunken.

 

„Ward ihr schon in der Bibliothek?“, erkundigt er sich beiläufig.

 

„Nein bisher leider noch nicht.“ Ich würde die Schrift hier wahrscheinlich sowieso nicht Lesen können, aber es gibt vielleicht auch welche, die ich lesen kann. Möglicherweise könnte Erestor, oder jemand anderes, mit diese Schriftzeichen beibringen, denn mein Vater hatte mir zwar die Sprache, jedoch nicht die Schrift der Elben beigebracht. Beim Laufen fällt mir wieder dieser merkwürdige Gang auf. Er geht elegant, jedoch nicht wie eine Raubkatze sondern wie ein Wolf.

 

„Ich hoffe es hat euch keine Umstände gemacht, mich zu führen“, bedanke ich mich zwischen den Zeilen bei Erestor, kaum, dass wir angekommen sind.

 

„Hätte es Umstände gemacht, hätte ich es euch nicht angeboten“, erwidert er kalt doch ein belustigtes Funkeln in seinen Augen nimmt den Worten ein wenig die Härte.

 

Ich wünsche auch ihm eine gute Nacht, schließe die Tür auf und betrete den Raum. Ich ziehe, kaum dass die Tür zu ist, schnell das Kleid aus. Ich kann diese Dinger einfach nicht leiden! In Hemd und Hose fühle ich mich viel wohler. Wieder in vernünftigen Kleidern beginne ich die vielen Spangen und was Minuial sonst noch alles in meine Haare verfrachtet hat, heraus zu ziehen. Die hübsche Elbin wäre wahrscheinlich entsetzt gewesen, hätte sie gesehen, wie grob ich dabei vorgehe. Nie wieder! Schwöre ich mir dabei. NIE WIEDER!!! Lasse ich mich so zurichten! Da kann mich Minuial noch so bettelnd ansehen. Als ich endlich fertig bin, seufze ich erleichtert auf.

 

Suchend sehe ich mich im Raum um. Ich will noch einmal zu Schotaker, aber ich glaube nicht, dass ich den Weg zurück finde. Da! Ich nehme das Wollknäuel, dass ich in einem der Schranke entdeckt habe und gehe zur Tür. Bevor ich sie Öffne befestige ich ein Ende des Faden an der Türklinke. Immer das Garn abrollend suche ich mir den Weg hinaus. Beim dritten Versuch gelingt es mir überraschenderweise auch.

 

Genießerisch atme ich die klare Nachtluft ein. Es liegt ein Blumenduft in der Luft. Unterbewusst nehme ich auch den Geruch nach Regen wahr. Sorgfältig mein Wollknäul an einer der Geländer streben der Treppe festbindend, sehe ich mich um und bin dabei so wachsam wie in meiner alten Heimat, obwohl ich weiß, dass es an diesem friedlichen Ort nicht nötig ist. Leise wie ein Schatten husche ich zum Stall. Vorsichtig ziehe ich die große Stalltür auf und gehe hinein. Schotaker begrüßt mich mit einem leisen Schnauben. Sanft streich ich ihm über die Stirn, dann flanke ich über die Boxentür - ich habe einfach keine Lust sie zu öffnen. Ich überzeuge mich davon, dass alles in Ordnung ist. Zufrieden stelle ich fest, dass einer der Stallburschen die Box gereinigt hat und auch sonst alles meinen Vorstellungen entspricht. Ich lehne mich an den Hengst und kraule ihn ausgiebig. Ich weiß nicht wie lange ich so dastand, doch als ich einen zuklappenden Fensterladen höre verabschiede ich mich von meinem treuen Gefährten und verlasse den Stall so leise wie ich gekommen bin. Ich ziehe die Tür wieder zu und laufe über den Hof zu dem Treppengeländer mit meinem Wollknäuel. Ich mache es ab und komme so problemlos zu meiner Wohnung, auch wenn ich kurz anhalte als ich leise huschende Schritte höre.

 

Sorgfältig schließe ich ab und schmeiße mich auf das Bett. Ich bleibe ein paar Minuten so liegen, dann stehe ich auf und mache mich Bettfertig. Entspannt strecke ich mich auf dem ungewohnt weichen Bett aus.

 

Von draußen höre den panischen Schrei eines Hirsches der abrupt endet und kurz darauf das triumphierende Heulen eines Wolfs. Ich schließe meine Augen. Viele andere hätten diese Geräusche beunruhigt oder gar verängstigt. Für mich ist es weder das eine noch das andere. In meinen Ohren klingt es fast wie Musik.

 

Morgen werde ich versuchen die Spur des Wolfs zu verfolgen. Dann mache ich mit Schotaker einen Ausritt, gehe in die Bibliothek und vielleicht trainiere ich mit ein paar Soldaten, falls ich das darf.

 

Mit diesen Plänen im Kopf und dem Wolfsheulen in den Ohren schlafe ich ein. 

Kommentare: 0