Kapitel 51

Ich hasse Überraschungen

 

Ein Schwert!”, fordert Thranduil, äußerlich völlig ruhig, innerlich aber durchaus gehetzt. Rasch wirft Elrond ihm die Langmesser herüber, die er als Ersatz mit sich führt.

 

Der Elbenkönig wirbelt die Messer kurz herum, um sie zu testen, dann folgt er mit langen Schritten Elrond. Kaum tritt er aus dem Schutz des Zeltes, fliegt auch schon der erste schwarze Pfeil auf ihn zu und hätte ihn beinahe getroffen, hätte Elrond ihn nicht mit seinem Schwert abgelenkt. So  trifft er stattdessen einen Ork in den Bauch. Mit einem Schwerthieb erlöst Thranduil die Kreatur.

 

Die darauffolgende,  kurze Pause nutzen die beiden Krieger, um sich einen Überblick zu verschaffen.

 

Was ihnen als erstes auffällt ist, dass es viel zu wenig Orks sind, um ihnen tatsächlich etwas anhaben zu können. Sowohl Thranduil, als auch Elrond haben eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele Orks unter Saurons Herrschaft stehen, was das Ganze noch irritierender macht.

 

Mehr Zeit zum Nachdenken wird ihnen nicht gegönnt. Sich gegenseitig den Rücken deckend, kämpfen sie sich zu einem Grüppchen Krieger hindurch, bei dem sie unter anderem die Heerführer Lóriens als auch den von Imladris ausgemacht hatten.
Einige ohrenbetäubend laute Explosionen lassen Thranduil zusammenzucken und die Orks neben ihn zu Boden gehen. Elrond, dem dieses Geräusch nur allzu vertraut ist, entdeckt nun auch den schwarzen Schopf  seiner zweiten Heerführerin, die grade dabei ist, ihren Revolver nachzuladen.

 

D

 

Nachdem ich meinen Revolver leergeschossen hatte, ziehe ich mich in den Kreis der Krieger zurück um nachzuladen. Ich bin grade bei der zweiten Patrone, als ein Ork Glorfindel, der grade mit zwei weiteren beschäftigt ist, bedrohlich nahekommt. Ihn auf diese Entfernung zu verfehlen ist unmöglich.

 

Als ich jedoch in meine Tasche greife, muss ich feststellen, dass ich keine Munition mehr habe – und der Rest befindet sich in meinem Zelt auf der anderen Seite des Lagers. Knurrend hebe ich das unhandliche, schartige und schlecht geschärfte Schwert des eben erschossen Orkes auf. Der Griff ist zu groß für meine Hand und es ist unangenehm schwer, zumal der Griff von Blut unangenehm rutschig ist.

 

Mich immer nahe bei Glorfindel haltend stürze ich mich wieder ins Gefecht.  Schon bei dem ersten Ork, auf den ich treffe, vermisse ich mein eigenes Schwert schmerzhaft. Statt dass das Schwert wie ich es gewohnt bin geschmeidig durch den Spalt in der metallenen Rüstung gleitet, bleibt es einfach stecken. Meine Irritation gibt dem Ork die Gelegenheit, mir einen schmerzhaften, zum Glück aber relativ ungefährlichen Schnitt  in die Seite zu verpassen. Ich lasse das Schwert los und taumle mir die Seite haltend zurück. Der Ork folgt mir, ein Geräusch von sich gebend, von dem ich vermute, dass es ein Kichern sein soll.

 

Hecktisch sehe ich mich nach Glorfindel oder einem anderem Krieger um, doch alle werden von Orks beschäftig.

 

„Gib unsss die Waffe, Elbenweib“, meine ich zwischen unverständlichem Gezische zu verstehen. Vorgebend mich vor Schmerzen zu krümmen gehe ich in die Knie und ziehe dabei unauffällig meinen Dolch aus dem Stiefel. Der triumphierend grinsende Ork bemerkt davon nichts.

 

Langsam richte ich mich auf, den Dolch so an den Unterarm gepresst, dass der Ork ihn nicht sehen kann. Er fühlt sich sicher. Um noch einen Augenblick Zeit zu gewinnen, frage ich: „Wenn ich sie dir gebe, wirst du mich dann nicht töten - und auch keiner deiner… Kameraden?“ Wieder das in den Ohren schmerzende Zischen, durchsetzt mit Worten aus der schwarzen und anderen Sprachen: „SSSichhher, aber nurrr, wenn du unsss dafürrr einen kleinen Gefallen tussst“

 

In einer schnellen Bewegung springe ich vor, ramme ihm den Dolch seitlich hinter Schlagader und Luftröhre in den Hals und reiße ihn dann mit einem kräftigen Ruck nach vorne, wodurch Arterien, sowie die Luft- und Speiseröhre durchtrennt werden. Dass Blut, dass mir dabei ins Gesicht spritzt, erfüllt mich diesmal nicht nur mit Ekel, sondern auch mit Befriedigung.

 

Als der nächste Ork mich attackiert, verschwindet diese allerdings. Dieser ist nämlich mit seinem Schwert mir gegenüber im Vorteil, zumal mich die Verletzung behindert und mich teilweise meiner Schnelligkeit und Beweglichkeit beraubt. Ich bekomme einen schmerzhaften Schlag auf die Hand, wodurch sich diese reflexartig öffnet und den Dolch zu Boden fallen lässt.

 

Zu meinem Glück haben Orkschmiede offenbar noch nichts davon gehört, dass man Schwerter auch beidseitig schärfen kann. So gelingt es mir, die Waffe nach unten zu drücken und dem Besitzer einen Handkantenschlag auf den Kehlkopf zu verpassen. Als dieser fällt, hinterlässt sein Schwert einen blutigen, aber oberflächlichen Schnitt auf meinem Oberschenkel, nicht mehr als ein Kratzer.

 

Schnell hebe ich den Dolch wieder auf und wirble zu dem nächsten Angreifer herum, doch es ist nur Glorfindel, der erschrocken die Hände hebt. „Hey sehe ich etwa so aus, als wäre ich ein Ork?!“, protestiert er nach einer Schrecksekunde.

 

Statt einer Antwort sehe ich mich um und stelle fest, dass wir gewonnen haben. Tief durchatmend – schlechte Idee, die Luft ist getränkt mit metallischem Blutgeruch – wische ich den Dolch an meiner ohnehin blutdurchtränkten Tunika ab, beuge mich dann zu dem Ork herunter und lege ihm zwei Finger an die Halsschlagader. „Er ist noch am Leben“, teile ich dann Glorfindel mit. Dieser nickt, mein Vorhaben verstehend und schickt einen Krieger los, ein Seil zu hohlen.

 

„Schlimm? Brauchst du einen Heiler?“, fragt Glorfindel dann mit Blick auf meine Seite. Ich schüttle beruhigend den Kopf. „Es wird reichen sie auszuwaschen, der Rest erledigt sich dann von selbst.“ Ich kann ihm die Skepsis ansehen, doch er schweigt.
Als der Krieger endlich mit einem Seil zurückkommt, ist Glorfindel bereits mit Elrond und Thranduil verschwunden, so ist es an mir, den Ork mit Hilfe des Kriegers zu einem Pflock, der eigentlich für Pferde gedacht ist, zu schleifen und ihn dort zu fesseln. Damit er keinen Selbstmord begehen kann, indem er sich die Zunge abbeißt, bekommt er noch einen Knebel.

 

Danach frage ich den Krieger, wohin Elrond verschwunden ist. Genau wüsste er es auch nicht, entschuldigt er sich, kann mir aber wenigstens die Richtung weisen. Artig bedanke ich mich und verschwinde in die von ihm angegebene Richtung, wo ich auch bald, dank des „Ruhigen“ Streitgespräches zwischen Gil-Galad und Oropher darüber, wessen Wachen Schuld an dem Angriff waren, fündig werde.

 

Ich schlage die schwere Zeltplane zurück und betrete das Zelt.

 

„Warum, Lord Elrond, wundert es mich nicht, dass eure Untergebenen nicht einmal die geringsten Höflichkeitsformen beherrschen?“, giftet Oropher sogleich, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

 

Ich nutze das kurze Zögern Elronds, als dieser sich eine passende Antwort, die nicht offensichtlich beleidigend ist, überlegt, um an seiner statt zu antworten. „Ich bitte um Verzeihung… Aran“ - ich betone den Titel übertrieben, so dass es beinahe beleidigend klingt - „Oropher, doch ich nahm an, dass es euch interessieren würde, weshalb Sauron seine Kreaturen hier her schickte. Falls ich mich damit irre, kann ich gerne gehen und ihr könnt euch weiter darüber streiten, wer die inkompetenteren Krieger hat.“

 

„Wie konntet ihr es wagen zu lauschen?“, empört sich Oropher sofort, offenbar das Einzige, was ihn interessiert von dem, was ich sagte.

 

„Mit Lauschen hat das nichts zu tun, Aran nín“, widerspreche ich. „Selbst für die Orks in Mordor waren eure Worte noch problemlos zu verstehen. Wenn ihr wollt, dass euch niemand zuhört, würde ich euch dringend ans Herz legen, etwas leiser zu sprechen“, sage ich süffisant lächelnd.

 

Damit habe ich es geschafft, Oropher ist sprachlos vor Wut. Innerlich triumphierend wende ich mich an Gil-Galad (der mich wohlwollend anlächelt), Elrond (der mich tadelnd ansieht) und Amdír, der offenbar sehr amüsiert ist.

 

„Sie waren deswegen hier“, sage ich, wieder vollkommen ernst und lege meinen Revolver auf den Tisch.

 

„Was ist das?“ Interessiert geht Thranduil einen Schritt auf den Tisch zu. „Hat das die explosionsartigen Geräusche verursacht?“

 

„Aye“
Anders als seinem Sohn genügt es Oropher nicht, die Waffe lediglich anzusehen, und er greift danach. Da sie nicht geladen ist, lasse ich ihn gewähren. Etwas linkisch dreht Oropher den Revolver in den Händen, dreht die Trommel, zieht den Abzug, entsichert ihn und hält ihn schließlich direkt vor das Auge, um in den Lauf sehen zu können. Mir dreht sich der Magen um.

 

„Bist du dir auch ganz sicher, dass da nichts passieren kann?“, scheint Glorfindel ähnliche Gedanken zu haben. „Ziemlich“, antworte ich achselzuckend und zucke gleich darauf mit dem ganzen Körper, als ein lauter Knall ertönt.

 

Mit einem Aufschrei lässt Oropher die Waffe fallen als hätte er sich verbrannt. „Was war das?“, fragt er, mehr als nur erschrocken. Offenbar geht es ihm gut und mein Puls normalisiert sich etwas, als ich sehe, dass auch niemand sonst verletzt wurde. Die Kugel ist in den Boden gegangen.

 

„Ihr habt abgedrückt“

 

„Wieso habt ihr mich nicht gewarnt, dass das passieren kann?!“ Nur langsam beruhigt sich Oropher und reibt sich das rechte Handgelenk, das offensichtlich noch von dem nicht unerheblichen Rückstoß der Smith&Wesson schmerzt.

 

„Ich habe mich wohl verzählt und ging davon aus, dass sie nicht geladen war“, erkläre ich mit einer Ruhe, die ich nicht empfinde. „Und um auf eure Frage zurückzukommen, ernil Thranduil, dies ist ein Revolver .460 Smith&Wesson“ Reichlich verständnislos sehen so ziemlich sämtliche Anwesenden mich an. „Das heißt, dass er eine ziemlich starke Durchschlagskraft hat und, wie ihr, Aran Oropher schon bemerkt habt, einen starken Rückstoß.“

 

„Nun, ich verstehe, warum Sauron Interesse an diesem… Revolver hat. Könnte er seine Truppen damit ausrüsten, hätten wir keine Chance.“ Er hält inne als sei ich plötzlich ein Gedanke gekommen. „Es sei denn, wir hätten ebensolche Waffen. Wie baut man so eine Waffe?“

 

„Ich weiß es nicht“, antworte ich ehrlich. „Der beste Schmied von Imladris hat es bereits versucht, ist jedoch gescheitert.“

 

„Also, selbst wenn Sauron diesen Revolver in die Hände bekommen sollte, wäre es doch höchst unwahrscheinlich, dass der ihn nachbauen kann“, zieht Glorfindel die logische Schlussfolgerung.

 

„Aye, aber die Möglichkeit besteht dennoch.“

 

 

 

Die Debatte dauerte noch lange an und schließlich einigten wir uns darauf, dass ich auch weiterhin den Revolver bei mir tragen sollte und auch weiterhin mit ihm kämpfen würde, da er einen zu großen Vorteil darstellt, als das wir einfach auf ihn verzichten könnten.

 

D

 

Nach zwei weiteren Tagen brechen wir schließlich auf. In Windeseile werden die Zelte abgebaut und verladen. Der gefangene Ork wurde, nachdem er gründlich befragt wurde, getötet und mit allen anderen Orkleichen auf einen Haufen gestapelt, der kurz vor unserer Abreise angezündet wurde.

 

Der restliche Weg verläuft abgesehen von einigen kleineren Kämpfen nahezu ereignislos.
Dann, nach einer schieren Ewigkeit, kommen die mächtigen Mauern Mordors in Sicht. Sie haben etwas Beklemmendes, Gefährliches. Die Pferde werden unruhig und ich bin die nächste Zeit damit beschäftigt, Schotaker zu beruhigen undhabe keine Zeit, weiter über das Schwarze Tor nachzudenken. Ich bin Schotaker schon beinahe dankbar dafür, dass er mich etwas ablenkt.

 

Lange hält diese Ablenkung jedoch nicht an. Erstaunte, erschrockene und verängstigte Rufe erschallen aus den Reihen der Krieger, als sich die Pforten Mordors öffnen und Orks über Orks aus ihnen hervorquellen, wie schwarzer Eiter aus einer Wunde. Obgleich viele der Orks verkrüppelt sind, humpeln und taumeln sie als wären sie betrunken, bewegen sie sich auf eine beängstigende Weise wie ein einziger Organismus.

 

Es herrscht vollkommene Stille. Selbst die nervösesten Pferde wagen es vor Angst nicht, sich zu bewegen oder einen Laut von sich zu geben.

 

Die ganze Welt scheint den Atem anzuhalten.

 

Dann erklingt gewaltiger Lärm von der anderen Seite der Orks aus und eine Lawine aus grün und braun ergießt sich von der mit abgestorbenen Bäumen bedecken Anhöhe hinab in die Ebene, auf der die Orks sie erwarten.

 

Das ist zu früh!, hämmert es durch meine Gedanken, während ich ansehen muss, wie die Fronten aufeinander treffen und sogleich die ersten Reihen der Elben nahezu restlos ausgelöscht werden.

Kommentare: 0