Kapitel 17

Geburtstag

 

Etwas kitzelt an meiner Nase. Ich seufze und wische einmal darüber, um das Kitzeln zu vertreiben. Nach ein paar Sekunden beginnt das Kitzeln von neuem. Wieder wische ich es weg. Ein klein-Mädchen-kichern erklingt, dann kehrt  das Kitzeln zurück. Wiederwillig grummle ich und öffne schließlich die Augen.

 

Auf meiner Decke kniet das Mädchen und hält eine Feder, die sie bei dem gestrigen Spaziergang gefunden hat, in der Hand.

 

„Morgen Auri.“ Seufze ich und wische mir mit einer Hand über die Augen. „Wie spät ist es?“

 

Aurora steht auf und beginnt auf dem Bett zu hüpfen, leidend verziehe ich das Gesicht, als sie dabei auf mein Bein springt.

 

„Die – Son - ne – is – schon – auf – ge – gan – gen! – Steh – End – lich – auf!“, ruft sie zwischen den Hüpfern.

 

„Ist ja gut, ich steh ja schon auf, aber hör endlich auf zu hüpfen!“ Prompt lässt sie sich auf den Hintern fallen.

 

„Weißt du was für ein Tag heute is?“, fragt sie hibbelig.

 

„Was soll denn sein? Ich geh mich jetzt anziehen und dann hohle ich uns Frühstück. Zieh dich auch an und dann kannst du ja ein bisschen spielen.“

 

Damit schlage ich die Decke zur Seite, ignoriere den geschockten Ausdruck auf Kindergesicht, hole mir meine Sachen aus dem Schrank und gehe ins Bad.

 

Selbstverständlich habe ich nicht vergessen, welcher Tag heute ist: Auroras fünfter Geburtstag. Doch um den Überraschungseffekt noch zu verstärken, tue ich so, als hätte ich es vergessen.

 

Ich wasche mich kurz mit einem Lappen und der nach Pinie duftenden Seife, dann schlüpfe ich in mein Lieblingshemd, es ist locker und bequem, dabei stört es mich nicht, dass die rote Farbe so ausgeblichen ist, dass es ehr weiß mit einem rötlichen Schimmer ist. Hüpfend ziehe ich mir die Hose an, die ebenfalls nicht sonderlich gut aussieht, dafür aber angenehm zu tragen ist, was für mich generell die Hauptsache ist.

 

Etwas sanfter als früher bürste ich mir das bis zur Taille reichende, tiefschwarze Haar.

 

Vorsichtig spitze ich um die Ecke ins Wohnzimmer und muss lächeln.

 

Aurora hat die Herzen der Elben im Sturm erobert, da sie trotz der grauenhaften Ereignisse vor sechs Wochen noch immer ein fröhliches Mädchen ist. Die erste Woche war schwer für sie, sie hat kaum etwas gegessen und getrunken, ebenso wenig hat sie gesprochen, nur ihren Namen hat sie mir nach zwei Tagen anvertraut. Doch dann ging es bald schnell bergauf. Sie aß wieder richtig, sprach und lachte sogar.

 

Ich blieb noch eine Woche lang Zuhause, bevor ich wieder begonnen, habe die Rekruten zu Trainieren und selbst da blieb sie bei mir. Hin und wieder hat sie sich mit Canonnaur, der ausgesprochen gut mit Kindern umgehen kann, Gefechte mit Holzschwertern geliefert.

 

Glorfindel hat für das Spielzeug, mit dem sie auch jetzt spielt, gesorgt. Eine kleine Herde aus Holzpferdchen und die dazugehörigen Krieger. Ich hätte Glorfindel so wunderschöne Schnitzarbeiten gar nicht zugetraut, man kann bei den Pferden einzelne Haare erkennen, in der Kleidung der Krieger sind winzige Falten, die wohl den Wind der sich in ihren verfängt darstellen sollen und sogar die Brustpanzer und Helme der Krieger sind mit filigranen Schnitzereien verziert.

 

Keine zwei Pferde oder Reiter sehen gleich aus. Eines setzt zum Sprung an, während ein anderes friedlich grast. Einer der Krieger dreht beschämt den Kopf weg, während ein anderer jubelnd sein Schwert in die Höhe reckt.

 

Seine Größte Meisterleistung sind jedoch die Figuren mit den beweglichen Gliedern, an denen Aurora die größte Freude hat. Dort wo sich Gelenke befinden würden hat er winzige Löcher gebohrt und ebenso winzige Nägel hineingesteckt. Aurora hütet diese Figuren wie einen Schatz.

 

Auch die mittlerweile nicht mehr ganz so kleine Rhovi liebt das Kind und lässt ihr alles durchgehen, ob sie ihr nun versehentlich auf den Schwanz tritt oder sie als Spielzeug missbraucht. Auch jetzt setzt sie der Katze wieder eine ihrer Püppchen auf den Rücken. Artig steht Rhovansell auf und trägt die Figur im Zimmer herum, sehr zur Begeisterung des Kindes, das die Enttäuschung mit dem vergessenen Geburtstag scheinbar schon wieder vergessen hat. Sie quietscht freudig auf und klatscht in die Hände.

 

Liebevoll lächle ich in mich hinein, dann schleiche ich, von dem spielenden Kind unbemerkt, zur Tür. Dabei muss ich über einen hart umkämpften Bauernhof steigen – die Tiere sind grade dabei einige Orks zu besiegen, die Glorfindel in all ihrer Hässlichkeit und mit einer unangenehmen Liebe zum Detail geschnitzt hat. Der Anführer scheint ihr Lieblings Pferd zu sein, dem bereits ein Ohr fehlt, was für Aurora jedoch kein Problem ist. Er wurde kurzer Hand zum Kriegshelden erklärt.

 

Lautlos öffne und schließe ich die Tür. Beschwingten Schrittes gehe ich in die Küche, Wünsche unterwegs Lirulin einen guten Morgen, und hole unser übliches Frühstück ab, dass Küchenelbinnen schon ganz routiniert bereitstellen. Frische Milch und Müsli mit Schokolade für Aurora, dazu frischer Apfelsaft. Für mich Brötchen mit Schinken, Tomate, Käse und Salat, dazu Kaffee.

 

Ich gebe Nille, die immer für uns immer das Frühstück zubereitet und mir eine gute Freundin geworden ist einen Kuss auf die Wange.

 

„Hast du die Torte?“, frage ich etwas aufgeregt.

 

„Was denkst du denn? Wie könnte ich den die Geburtstagstorte für unseren kleinen Schatz vergessen?“ Dabei dreht sie sich um und mit einem Hüftschwung, der  schon vielen Elben zum Verhängnis geworden ist, in den hinteren Teil der Küche, wo sich eine gewaltige Truhe aus Stein befindet.

 

„Was ist das?“, frage ich neugierig und begutachte die merkwürdige Truhe mit schiefgelegten Kopf.

 

„Eine Gefriertruhe“, verkündet sie mit stolzgeschwellter Brust.

 

„Eine was?“ Davon hatte ich noch nie gehört.

 

Sie seufzt wie eine Lehrerin die einem Kind schon zum zehnten Mal eine einfache Aufgebe erklären muss.

 

„In der Truhe befindet sich Eis, dass alle zwei drei Wochen aus den Nebelbergen geholt wird. Der Stein verhindert, dass das Eis taut, so können wir verderbliche Lebensmittel auch über einen langen Zeitraum aufbewahren, ohne dass sie Schimmeln. Die Torte für die Kleine ist da auch drin, damit sie frisch bleibt, außerdem schmeckt sie kalt viel besser.“

 

„Wunderbar, ich hab mir schon Sorgen gemacht, ob sie sich bis heute Abend hält. Darf ich sie sehen?“ Sie nickt und klappt mit einiger Mühe den schweren Steindeckel auf. Die Truhe ist voller Eis, dazwischen Leinensäcke, die mit irgendetwas gefüllt sind. Darunter ist ein Viereckiger, den Nille nun öffnet. Zum Vorschein kommt eine hölzerne Kiste. Sie hebt den Deckel ab und eröffnet mir den Blick auf eine liebevoll arrangierte, dreistöckige Torte. Auf den unteren Ebenen stecken je fünf kleine Metallkerzenhalter. Viel Sahne und Schokoraspeln, eben das, was Aurora am meisten liebt. Ganz oben steht mit lila Zuckerguss in einer Eleganten Schrift geschrieben: Alles Gute zum Geburtstag Aurora!

 

„Wunderbar!“, lobe ich sie voller Elan und umarme sie kurz.

 

„Für euch tu ich doch alles“, lächelt sie und erwidert die Umarmung. Dann löst sie sich von mir und klappt dein Deckel wieder zu.

 

„Bis dann“, flöte ich fröhlich, schnappe mir das Tablett und gehe beschwingt zurück.

 

„Frühstück“, rufe ich und trete mit dem Fuß die Tür zu. Aurora lässt das Pferdchen, das sie in der Hand hält achtlos fallen und springt auf.

 

Seelig löffelt sie ihr Müsli. Mit einem warmen Gefühl sehe ich ihr zu ehe ich mich über mein eigenes Essen hermache. Es schmeckt wie üblich köstlich, besonders hat es mir die Kräuterbutter angetan.

 

Aurora nimmt sich noch eine Portion, dann sind wir fertig.

 

„Komm mal mit“, fordere ich sie auf. Skeptisch legt sie den Kopf schief, doch dann siegt ihre Neugierde und sie hüpft mir hinterher.

 

Ich kenne ihre Neugierde und weiß auch, dass sie zu clever ist, um mir wirklich zu glauben, ich hätte ihren Geburtstag vergessen. Möglicherweise dachte sie es in den ersten paar Minuten, doch dann war ihr wohl aufgegangen, dass ich so etwas wie ihren Geburtstag niemals vergessen würde, denn obwohl sie mich noch nicht allzu lange kennt, hat sie mich schon gut durchschaut. Also würde sie anfangen ihre Geschenke zu suchen, weshalb ich alles sehr gut verstecken musste.

 

Vor dem Kamin gehe ich auf die Knie und stecke eine Hand hinein. Ich taste an der hinteren Wand des Abzugs herum, bis ich einen losen Ziegel finde. Ich schiebe ihn mit sanftem Druck zurück. Es klickt leise, dann schwingt die Rückwand des Kamins lautlos auf.

 

„Warte hier“, bitte ich die Kleine und steige durch den Kamin in den dahinter liegenden Gang.

 

An der Wand aufgestapelt stehen sechs in Leinen eingeschlagene Päckchen.

 

„Mach die Augen zu“, rufe ich hinaus „und wehe du schmulst!“ Hibbelig hält sie sich die Augen zu, spitzt jedoch zwischen dem Mittel- und dem Ringfinger hindurch.        
„A A A Nicht schmulen hab ich gesagt. Umdrehen“

 

„Manno-ho!“, protestiert sie, gehorcht jedoch. Ich nehme die drei oberen Päckchen und stelle sie vor den Kamin, dann die anderen drei.

 

„Hilfst du mir tragen?“, frage ich sie, während ich noch einmal in den verborgen Raum lange und einen kleinen Hebel umlege. Geräuschlos schließt sich die Tür und passt sich wieder so perfekt in die Kaminrückwand ein, dass sie unsichtbar wird.
Zusammen tragen wir die Päckchen zum Tisch, dann ist Aurora nicht mehr zu halten. Sie zieht die Bänder, die das Päckchen geschlossen halten, aufgeregt weg und schlägt das Leinen auseinander. Eine kleine Schachtel kommt zum Vorschein. Beinahe ehrfürchtig öffnet sie das Kästchen. Staunend sieht sie die sich darin befindende Kette an. An einem Band aus schwarzem Leder hängt eine filigrane und unglaublich detailgenaue metallene Antilope. In langer Arbeit hat Angreninaur ihre langen in sich gedrehten Hörner, die schlanken Beine zu einem gewaltigen Sprung ausgesteckt sind ausgearbeitet. Ein Wunderwerk voller Eleganz mitlebendig wirkenden Augen, und starken, sich unter dem Fell abzeichnende Muskeln, die Zeugnis von der unglaublichen Schnelligkeit des Tieres ablegen.

 

„Die is Wunderschön!“, haucht Aurora atemlos.

 

„Sie ist dein Totem“, erkläre ich.

 

„Was is ein Toem?“

 

„Ein Totem, T-o-t-e-m“, ich betone sorgfältig jeden einzelnen Buchstaben. Sie wiederholt das Wort und lächelt stolz. Wieder sieht sie hinab auf die Antilope und fährt liebevoll mit dem Zeigefinger über die spitzen Hörner, wegen denen ich einige bedenken hatte, doch als ich nun sehe, wie vorsichtig die mit dem Daumen prüfend auf die Spitzen drückt und ihn rasch zurückzieht, weiß ich, dass keine Gefahr droht.

 

„Was is denn nu ein Totem?“

 

„Ein Totem… Tja wie erkläre ich dir das? Dein Totem hat viele Eigenschaften mit dir gemein, aber er ist auch den Beschützer. Die Antilope ist lebhaft, klug, rein und schnell. Aber sie trotz ihren gefährlichen Hörnern auch schutzbedürftig, zart und zerbrechlich. In der Sprache meines Volkes heißt sie >Tatokala<.“

 

„Hast du auch ein To… Totem?“

 

„Ja ich hab auch einen.“ Ich ziehe eine Kette hervor mit einem Puma aus schwarzem Metall als Anhänger. Auch hier beweist der Künstler ein Unglaubliches Geschick. Es wirkt, als wäre das Tier lebendig. Der Puma ist in einer kriechenden Pose dargestellt, als ob er über meine Brust an mir empor klettern würde. Er wirkt gefährlich durch das geöffnete Maul mit den langen, scharfen Eckzähnen und den mächtigen Muskeln, aber auch anmutig durch den schlanken, geschmeidigen Leib.

 

„Wofür is der? Passt der auch auf dich auf?“

 

„Ganz bestimmt!“, bestätige ich fest. „Und ich passe auf dich auf. Der Puma ist mal langsam, ruhig und träge, dann ist er plötzlich unglaublich schnell. Er steht für Anmut, Kraft, konzentrierte Energie und Mut. Aber er ist auch wild, reizbar und aggressiv.“

 

„Wie heißt der denn in deiner Sprache?“

 

„Igmu Tanka“

 

„Das hört sich schön an. Sag es nochmal!“ Gehorsam wiederhole ich die Worte.

 

Sie öffnet auch die anderen Päckchen. In einem ist ein Traumfänger, den ich selbst aus dem Ast einer Weide, geflochtenen Schweifhaar von Schotaker, selbstgeschnitzten Perlen und Federn eines verletzten Falken hergestellt habe, den ich töten musste, um ihn von seinem Leiden zu erlösen.

 

Fasziniert streicht sie über die schönen Federn des Vogels.

 

In einem weiteren ist ein Schwert, passend für ihre Größe und stumpf, zu ihrer großen Begeisterung jedoch aus Metall.

 

Des Weiteren bekommt sie noch eine Minirüstung, einen kleinen Bogen mit stumpfen Pfeilen und im letzten Päckchen ist eine Schüssel mit Süßigkeiten, über die sie sich sofort begeistert hermacht.

 

„Weist du“, eröffnet sie mir dann mampfend, „Ich hab dir nie geglaubt, dass du meinen Geburtstag vergessen hast, du guckt immer so komisch, wenn du lügst.“

 

Ein wenig überrascht hebe ich die Braue. Dass ich so leicht zu durchschauen bin, hatte ich nicht gedacht.

 

Zwei Stunden Später kommen Lirulin, Glorfindel, Mallanglîn, Erestor und einige Elblinge mit ihren Eltern. Unter anderem auch Elladan und Elrohir mit Elrond und Celebraìn. Alle haben Geschenke dabei und selbstverständlich jede Menge Süßes.

 

Bald darauf kommt Nille mit der Tote herein, was mit allgemeinen Ahs und Ohs kommentiert wird.

 

Nach dem Tortenfuttern darf Aurora die Geschenke auspacken.

 

Den Rest des Abends verbringt sie in der Indianerkleidung und der Falkenfederkrone von Lirulin. Nun weiß ich, was Lirulin mit den übrigen Federn des Falken machen wollte. Es wird ein überaus fröhlicher Abend, wir bleiben lange auf, obwohl es unvernünftig ist, da ich am nächsten Tag wieder vor Sonnenaufgang aufstehen muss, um die Rekruten zu trainieren. Doch am Tag darauf, nehme ich mir fest vor, werde ich etwas mit Aurora unternehmen.