Kapitel 53

Das große Finale

 

Sieben lange Jahre geschieht nichts. Jedenfalls nichts, das ich für erwähnenswert halte, einige kleine Scharmützel, nur kurze Kämpfe, die dennoch jedes Mal Leben fordern, das Heer schrumpft stetig.

 

Doch nun stehen wir wieder hier, genau wie vor sieben Jahren, vor der nahezu endlos erscheinenden Belagerung. Der einzige Unterschied ist, dass diesmal die Waldelben auf unseren, beziehungsweise Gil-galads, Befehl warten würden.

 

Dieser kommt, als sich das Schwarze Tor öffnet und sich zum zweiten Mal eine riesige Armee Orks daraus ergießt. Es ist nicht zu erkennen, dass wir bereits viele Tausende von ihnen getötet haben. Noch immer sind sie uns zahlenmäßig um ein Vielfaches überlegen, während unsere Reihen deutlich ausgedünnt sind.

 

Ich hebe den Bogen und schieße Pfeil um Pfeil in die Masse der Orks. Zielen ist nicht nötig, so viele sind es. Die ersten Reihen bleiben so getroffen auf der Strecke, während die Orks nun ihrerseits zu schießen beginnen und mehr als ein Elb von ihren Pfeilen getroffen wird.

 

Wild brüllend stürmen die Orks auf uns zu. Die Waffen hoch über den Köpfen erhoben. Sie rennen förmlich von allein in unsere Schwerter. Dennoch sehe ich bereits einen Elben fallen. Offenbar hält Sauron es ähnlich wie Menschen, die Hundekämpfe veranstalten, und hat die Orks nicht gefüttert, anders kann ich mir nicht erklären, weshalb sich die Biester auf den Elben stürzen und versuchen ihn zu fressen. Ungeachtet der Tatsache, dass schwer bewaffnete und ziemlich wütende Elben sie sogleich niedermachen.

 

Wieder kämpfe ich an der Seite Glorfindels, der wie ein Orkan unter den Orks wütet. Dann erscheint eine Gestalt hinter ihm. Unheimlich groß, beinahe doppelt so groß wie ich. Noch immer fegt Glorfindel durch die dunklen Kreaturen, die Diener des Giganten.

 

„GLORFINDEL!“, brülle ich über den Lärm hinweg und gestikuliere mit einer Hand in Richtung Sauron, die andere brauch ich, um mein Schwert zu schwingen, das sich beinahe freudig durch die Orkkörper frisst.

 

Als Glorfindel endlich auf mich aufmerksam wird, ist es bereits zu spät. Der Stab Saurons erfasst ihn und schleudert ihn einige Yards weit weg. Ich weiß, dass es eine dumme Idee ist, dennoch ducke ich mich und versuche so unter dem Stab Saurons hindurch zu kommen und ihn zu attackieren. Mein Plan scheitert an der Panzerung. Eine riesige, in einer metallenen Panzerung steckende Hand umfasst meinen Hals und hebt mich mühelos hoch.

 

Für einen Moment kann ich in die Augen des Monsters sehen. Es ist, als hätte man mich mit einem Kübel Eiswasser übergossen. In den rot glühenden Augen schimmert Wahnsinn, absolute Bosheit und Grausamkeit. So hatte ich mir das ewige Dunkel außerhalb der Mauern der Nacht vorgestellt, dort, wo Illúvatar keine Macht hat und Melkor nun sein Unwesen treibt.

 

Der Moment ist vorbei, als Sauron mich wie eine Puppe wegwirft. Irgendwie gelingt es mir, auf den Beinen zu landen, etwas, das mir das Leben rettet – Sauron hat mich direkt in einen Pulk von Orks geschleudert.

 

Ich weiche etwas zurück und stoße mit dem Rücken gegen eine raue Felswand. Knurrend packe ich den ersten Ork im Nacken und ramme seinen Kopf immer wieder gegen besagte Felswand. Mein Schwert habe ich ärgerlicherweise verloren, als Sauron mich hochgehoben hat.

 

Mit einer Hand ziehe ich also meinen Dolch aus dem Gürtel und nehme mit der anderen den Revolver. Sechs Schuss. Keine Zeit zum Nachladen.

 

Schon Augenblicke später habe ich meine Munition verschossen und hebe mangels Alternativen die Streitaxt eines gefallenen Zwerges auf. Die Waffe ist etwas schwer und unhandlich, aber dennoch sehr effektiv.

 

Mit purer Gewalt dresche ich auf die Orks ein. Etwas, wofür die Zwergenaxt ideal ist. Wie Butter durchtrennt die scharfe Schneide die Helme der Orks und gleitet durch den darunter liegenden Schädelknochen. Eine graue Masse schießt aus dem Spalt und spritzt in mein Gesicht. Ich lasse mich gegen die Felswand fallen und trete einem Ork einige Male kräftig ins Gesicht, bevor ich mit der Axt weitermache.
Plötzlich schallt ein grausamer Schrei über das Schlachtfeld. Die darauffolgende Druckwelle schleudert mich hart gegen die Felswand, an der ich benommen hinabrutsche. Ich schließe die Augen, in der Erwartung, jeden Augenblick eine Orkklinge in die Brust gerammt zu bekommen. Dann öffne ich sie wieder. Ich will nicht als Feigling sterben, sondern meinem Tod ins Auge sehen.

 

Zu meiner Überraschung machen die Kreaturen keinerlei  Anstalten, mich anzugreifen, sondern schnattern aufgeregt und völlig orientierungslos durcheinander. Erst jetzt wird mir bewusst, was das eben zu bedeuten hatte: Sauron ist tot.
Mit einem gehörigen Brummschädel rapple ich mich auf und hebe die Streitaxt hoch, nur um sie dem nächstbesten Ork in die Eingeweide zu rammen. Die übrigen Orks sehen das als Zeichen, den geordneten Rückzug anzutreten. Sprich: Sie fliehen Hals über Kopf.

 

Jetzt, wo der Kampf zu Ende ist, taumle ich leicht. Es ist, als wäre man gesprintet und dann abrupt stehen geblieben, man kommt aus dem Gleichgewicht. Kurz verschwimmt die Welt vor meinen Augen. Vermutlich dank der Kollision zwischen der Felswand mit meinem Kopf. Ich schließe die Augen, um den leichten Schwindel zu vertreiben.

 

Als das nicht funktioniert, schiebe ich mit dem Fuß eine Orkleiche weg und lasse mich, die Axt zwischen den Knien, an dem Stein hinabgleiten. Erschöpft lehne ich den Kopf an den kühlen Fels. Dennoch erlaube ich mir nicht, die Augen zu schließen. Noch ist die Gefahr nicht gebannt.

 

In dieser Haltung findet mich dann Glorfindel einige Stunden später. Die Sonne geht bereits auf. Ich wünschte mir, sie würde es nicht tun.

 

Die ersten Strahlen enthüllen deutlich den Schrecken, den dieser Krieg mit sich brachte. Der Boden ist übersät mit Leichen, wobei die Orkkadaver unter Anors Strahlen leicht zu qualmen beginnen, wodurch sich ein schwarzer, stinkender Nebel über das Schlachtfeld senkt.

 

„Wir haben gesiegt“, stellt Glorfindel fest, als könne er es selbst nicht wirklich glauben.
„Ja, aber um welchen Preis?“, erwidere ich, den Blick auf den verrenkten Körper Ereinion Gil-galads gerichtet, der mir in den letzten Tagen umso sympathischer geworden war.

 

„Weder er, noch Amdír haben einen Thronfolger, nicht wahr?“

 

„Nein.“ Mit ungewohnt schweren Schritten, seine Füße versinken bei jedem Schritt bis zu den Knöcheln in dem aufgeweichten Boden,  geht Glorfindel zu dem gefallenen König hinüber und hebt Aeglos, den Speer Gil-galads auf. Versonnen betrachtet er die Waffe, tödlich, aber dennoch wunderschön. Dann zieht er ein Tuch hervor, woher auch immer, und beginnt ihn mit vorsichtigen Bewegungen zu reinigen.
„Morgen geht es zurück nach Hause“, verkündet er dann. Der Hauch eines Lächelns ziert seine jugendlich wirkenden Züge.

 

D

 

Mit langen Schritten passiert der Junge die steinerne Brücke, die den träge fließenden Fluss, in dem einige Krokodile schwimmen, überspannt und gelangt dann durch das große Tor in dem mehrere Yards hohen Palisadenzaun in das eigentliche Dorf. Die Krieger, die das Dorf bewachen, sind für ihn ein so vertrauter Anblick, dass er sie kaum noch wahrnimmt. Nur seinem großen Bruder Makoto winkt er kurz zu. Dieser senkt als Antwort nur leicht den Kopf, wobei sein sauber gestutzter Pony kurz seine mandelförmigen Augen verbirgt. Gäbe es nicht  den Altersunterschied, hätte man die beiden für Zwillinge halten können, so ähnlich sind sie sich.

 

Über den gepflasterten Weg schlendert der Junge zwischen blühenden Jasminbäumen zu dem Haus seiner Familie. Kaito, der anscheinend spürt, dass sie wieder zuhause sind, regt sich nun wieder und gähnt ihm ins Ohr. Der Junge hebt die Hand und lässt das Äffchen, das grade einmal so groß ist wie seine Hand, auf eben diese klettern, wo das Tierchen sogleich seinen Mittelfinger in Beschlag nimmt und seelig auf ihm herumkaut.

 

Amüsiert lächelt der Junge, überquert die Veranda, die einmal um das Haus herumführt, streift sich die Schuhe von den Füßen und schiebt den Shōji*20 zur Seite. Dahinter erstreckt sich ein großer Raum, der bei Bedarf durch weitere Shōji getrennt werden kann.

 

Lautlos hüpft er über den mit Reisstrohmatten, Tatami genannt, belegten Boden in das Zimmer seines Vaters. Doch dieser scheint alles andere als erfreut. Offenbar hatte er grade mit den anderen Weisen dieser Stadt gesprochen, als sein Sohn hereingeplatzt war.

 

„Nani ya~tsu koko ni, Haruko*21 (Was tust du hier, Haruko?), fragt sein Otousan (Vater) streng mit hochgezogenen Brauen.

 

Gairan o yurusu, Otousan.  Sore wa jūyōde wa arimasen“ (Verzeih die Störung, Vater. Es ist nicht so wichtig), haspelt er schnell und tritt den Rückzug an. Jedenfalls hatte er das vor. Wirklich. Er wollte gar nicht lauschen. Er hockte nur plötzlich vor der Tür, als hätte Orome ihn dort hingebracht. Genau! So wird es gewesen sein. Und wo er ja schon mal hier ist, könnte er auch noch etwas hier bleiben und herausfinden, warum die alle so ernste Gesichter machen, außerdem hat Orome ihn persönlich hierher gebracht, also müsste es ja in dessen Sinne sein, nicht wahr? Genau. Und so ganz nebenbei, könnte er damit ja auch etwas vor der hübschen Yukiko angeben…

 

Verschwörerisch legt er den Finger an die Lippen und blinzelt Kaito zu, der die Geste eifrig nickend erwidert und versucht, unter dem Shōji hindurch zu spähen. Währenddessen hört Haruko aufmerksam zu. Je länger er so kauert und lauscht, desto bleicher wird er. Seine Pupillen weiten sich ängstlich und sein Herzschlag wird schneller, ein dünner Film Schweiß bedeckt seine glatte Stirn.

 

Kaito, der dies durchaus bemerkt, legt fragend das Köpfchen schief und schaut sein Herrchen beinahe besorgt an. Vorsichtig schnappt er sich die Hand des Elben und knabbert vorsichtig an der Fingerkuppe, sein Herrchen lächelt dann immer. Nur diesmal nicht.

 

Diesmal hebt Haruko das Äffchen ruckartig hoch und platziert es auf seiner Schulter. Dann stürmt er aus dem Haus als wäre ein wütendes Nashorn hinter ihm her.

 

Verwundert sehen ihm die Elben, die grade damit beschäftig sind, das Reisfeld zu pflügen, nach, und die Frau des Daimyō dieser Stadt schimpft ihm hinterher, als er sie beinahe umgerannt hätte. Er ignoriert sie, wie immer.

 

Er hastet zu dem Haus, in dem sein bester Freund Kai mit seiner Familie wohnt. Ohne Scheu betritt er das Haus. Sogleich erblickt er Kai, der gegenüber von seinem Otousan vor dem niedrigen Tischchen sitzt, vertieft in eine Partie Shōgi*22.

 

„Kai!“, reißt er seinen Freund aus seiner Konzentration. Dieser sieht, genau wie sein Otousan, milde verwundert auf. „Was hast du, Haruko? Du siehst aus wie ein verschreckter Okapi!“

 

„Du musst mitkommen!“ Die Dringlichkeit in Harukos Stimme lässt Kai nicht mehr länger zögern. Er entschuldigt sich noch bei  seinem Vater und folgt dann rasch seinem Freund.

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