Kapitel 04

Wiedersehen

 

Als das Wasser beginnt kalt zu werden, steige ich aus der Wanne und wickle mir eines der Handtücher um die Hüfte. Langsam und schläfrig von dem Bad gehe ich in den Wohnraum.

 

Minuial konnte zum Glück neben den Kleidern auch die Kleidung beschaffen, die ich mir gewünscht hatte. Ein schwarzes Hemd mit weiten Ärmeln, die am Handgelenk eng anliegen. Auf der Brust ist mit einem Silberfaden ein Wasserfall, eine Brücke, die diesen überspannt und ein Stern gestickt. Bewundernd streiche ich über das Muster. Es sieht sehr kompliziert aus. Plötzlich klopft jemand an meiner Tür

 

„Einen Moment bitte“, rufe ich gehetzt. Schnell ziehe ich mich an, Minuial hat sogar an Stiefel gedacht.

 

„Herein“ Minuial öffnet die Tür und huscht lautlos ins Zimmer.

 

„Ich hoffe ich störe euch nicht“, fragt sie ängstlich und blinzelt mit gesenkten Kopf zu mir hoch

 

„Nein, nein keine Sorge Minuial, du störst mich nicht“, beeile ich mich zu sagen und lege ihr freundschaftlich eine Hand auf die Schulter. Sofort strahlt sie wieder. „Darf ich nach eurem Namen fragen?“

 

„Darfst du. Und ich verrate ihn dir -  aber“ schulmeisterlich hebe ich den Zeigefinger und mache ein todernstes Gesicht, obwohl ich mir nur mit Mühe ein Lachen verkneifen kann, was Minuial auch bemerkt und grinst „aber“ dramatische Pause „nur unter einer Bedingung“ wieder mache ich eine Dramatische Pause. Minuial wird es langsam zu bunt „Na was denn nun? Sag schon“

 

 „Bedingung erfüllt!“ fragend sieht sie mich an. „Du hast >du< zu mir gesagt und hast mich nicht >Lady< genannt“ Eröffne ich ihr grinsend. „ Mit den Bedingungen bin ich einverstanden“, sagt sie und nimmt meine dargebotene Hand. „Du“, sagt sie. „Du“, bestätige ich. „Ich bin Sureto“, verdattert sieht sie mich an. „Du wolltest doch wissen wie ich heiße“

 

 „Ach so. Und meine Freunde nennen mich Minu“

 

„Heißt das, ich darf dich auch so nennen?“, hake ich nach und Minu nickt.

 

„Also Minu, was wolltest du jetzt?“, komme ich auf den Grund ihres Besuches zurück, wobei ich ihren Namen besonders betone.

 

„Lord Elrond hat mich darum gebeten, dich herum zu führen“

 

„Wunderbar“, rufe ich begeistert und gehe zur Tür. Das heißt, ich wollte zur Tür gehen aber Minu hält mich am Ärmel fest. „Warte! Deine Haare sind noch ganz nass und ungekämmt. So kannst du doch nicht rausgehen!“, tadelt sie mich streng. Seufzend nehme ich den Kamm in die Hand und beginne mich ungeduldig, wie immer, zu kämmen. Grob reiße ich einfach alles raus wo der Kamm hängen bleibt. Schockiert darüber sieht Minuial mir einige Zeit zu, dann reißt sie mir den Kamm aus der Hand „ So geht das nicht“, fährt sie mich an, von ihrer vorherigen Scheu ist nichts mehr zu sehen. Dann beginnt sie mich, unendlich viel sanfter, zu kämmen.

 

Nach gefühlten Zeitaltern, in denen ich die Tür angestarrt hatte, als ob ich dadurch schneller hinauskommen würde, ist Minu endlich fertig. Und nein ich springe nicht auf wie von einer Tarantel gestochen auf und renne zur Tür- ich springe auf wie von Milliarden Taranteln gestochen und rase wie ein geölter Blitz zur Tür. „Du hast es aber eilig“, kommentiert Minuial meinen Abgang lachend.

 

Ich reiße die Tür auf und drehe mich um, um ihr zu antworten „Das ist...“, weiter komme ich nicht. Ich höre ein zweistimmiges Kinderlachen und schon rennen zwei Schwarzhaarige Kinder in mich hinein. „Elladan, Elrohir! Seid ihr schon wieder abgehauen?“, schimpft Minu nach einer Schrecksekunde.

 

„Nein Minu wir waren ganz brav“ beteuert einer der beiden gleichaussehenden Zwillinge mit Unschuldsmiene. „Genau! Wie immer“, bestätigt der andere und Minu sieht nicht aus als würde sie das glauben.

 

Doch nachdem auch ich sie bettelnd ansehe gibt sie unseren Blicken nach „Also gut. Ich wollte Sureto gerade das Haus zeigen. Wollt ihr mitkommen?“, seufzt sie und es klingt, als würden wir sie zwingen ihr eigenes Todesurteil zu unterschreiben.

 

Sofort hüpfen die beiden jubelnd um uns herum. „Ruhe!“, verschafft das Dienstmädchen sich Gehör „Stellt euch doch erstmal vor!“ Wie eine Person drehen die beiden sich um und sehen mich mit demselben Gesichtsausdruck und demselben Blick an. Mann das ist unheimlich! „Ich bin Elladan“ sagt der, der vorhin als erstes gesprochen hatte „und ich bin Elrohir“.

 

Genau betrachte ich die beiden, die wirklich alles getan haben um gleich auszusehen, von den Strümpfen bis zur Frisur, dennoch fallen mir kleine Unterschiede auf: Elladan ist einen Hauch größer und hat etwas höhere Wangenknochen. Elrohir hat eine geradere Nase und etwas dunklere Augenbrauen. All diese Unterschiede fallen wirklich nur dann auf, wenn man sie direkt nebeneinander sieht, aber ich vermute, dass ich sie doch auseinander halten können werde. Beiden scheinen sich etwas unwohl unter meinem Blick zu fühlen.

 

„Komm wir zeigen dir unser Zimmer“, ruft Elladan und rennt, dicht gefolgt von seinem Bruder, los. Minu und ich rennen gezwungenermaßen ebenfalls los und kurz darauf spielten wir auch schon „fang mich“. Kichernd bleiben die die beiden vor einer Tür stehen, die bunt angemalt wurde, anscheinend von den Beiden.

 

Elladan und sein Bruder wechseln einen verschwörerischen Blick, dann öffnet Elrohir die Tür und die beiden gehen betont normal hinein. Dennoch entgeht mir nicht, dass beide die Füße etwas höher heben, als normal. Aufmerksam sehe nach unten. Die beiden haben eine fast durchsichtige Schnur im Türrahmen befestigt, der durch einen Ring nach oben geht. Unauffällig bedeute ich Minu, ein Stück zurück zu gehen. Kurz versichere ich mich, dass sie es tatsächlich tut. Ja. Schnell bücke ich mich, ziehe an der Schnur und  springe zurück - keinen Moment zu früh.

 

Vor mir ergießt sich der Wassereimer, den die Zwillinge über der Tür aufgehängt haben. Mit einem schockierten Hausfrauenblick betrachtet Minuial die Überschwemmung. „Ihr Lausbuben!“, schimpfe ich scherzhaft, springe über die Pfütze und beginne die Beiden abzukitzeln. Kichernd und kreischend versuchen sie sich mir zu entwinden - ohne Erfolg.

 

„Seid ihr verrückt geworden?“ Eine Schimpftirade Minus ergießt sich über die Beiden, die schuldbewusst die Köpfe senken.

 

„Es sind doch nur Kinder“ versuche ich Minuial zu beruhigen, doch sie beachtet mich gar nicht und schimpft weiter. Als sie bei den dadurch entstehenden Gefahren angelangt schalte ich auf Durchzug – die Zwillinge haben dies, wie man unschwer an ihren leeren Blicken sehen kann, bereits getan.

 

Nach einer Weile beruhigt sie sich wieder. „Komm ich zeige dir noch den Rest des Hauses“, sagt sie an mich gewandt und ignoriert die Jungen absichtlich.

 

„Kommt einfach mit“, raune ich ihnen zu. Schon wieder grinsend nicken die beiden. „

 

Spielst du nachher mit uns?“, will Elrohir von mir wissen und ich nicke.

 

Minu zeigt mir noch die Ställe, die Küche, den Übungsplatz der Soldaten, die Flure der Fürstenfamilie, die Gärten und so weiter und so weiter…

 

Nun sitzen wir gemütlich bei einer Tasse Tee auf einem der Balkone.

 

„Woher kommst du eigentlich?“, fragt mich Elladan nach einer Weile.

 

„Vom oberen Missouri.“, antworte ich und habe sofort wieder das Bild meiner Heimat vor Augen, so detailliert, als ob ich wirklich dort währe. „Den Misui kenne ich gar nicht“, stellt Elrohir mit gerunzelter Stirn fest.

 

Gerade als ich zu einer Antwort ansetzen will, höre ich ein vertrautes Wiehern. Wie erstarrt sitze ich da. Da kann nicht sein. Er ist fort!

 

„Suri? Was ist denn?“, reißt mich Elladan aus meiner Erstarrung. Unfähig etwas zu sagen schüttle ich den Kopf.

 

Dann übernimmt mein Körper die Kontrolle. Ich springe auf und flanke über die Brüstung in den Garten – ein Glück, das wir im Erdgeschoss sind, denke ich, dann sehe ich IHN!

 

Wild an den Zügeln zerrend und bockend wird Schotaker von einer Gruppe Soldaten in den Hof gezerrt. Wieder steigt er steil und die Männer ducken sich, um nicht von den wild wirbelnden Vorderhufen des Apfelschimmels getroffen zu werden. Er verdreht sie Augen so weit, dass ich das Weiße in seinen Augen sehen kann. Ein Bild volle ungebändigter Wildheit. Ja, so kenne ich ihn.

 

Ein weiteres lautes, drohendes Wiehern bringt mich dazu, mich in Bewegung zu setzen. Erst gehe ich nur zögernd, ich habe das Gefühl, Schotaker würde sich bei einer unbedachten Bewegung in Luft auflösen. Doch mit jedem Yards werde ich schneller und zuletzt renne ich auf den Hengst zu.

 

„Bleibt stehen Lady, das Biest beißt!“, ruft mir einer der Schweißüberströmten Soldaten zu, der allem Anschein nach bereits mit Schotakers Zähnen Bekanntschaft gemacht hat, zumindest deuten die Bisswunden an seiner linken Hand darauf hin.

 

Nicht auf seine Warnung achtend laufe ich weiter. Als ich nur noch einen Yards von Schotaker entfernt bin, fährt dieser herum und ist drauf und dran, auch mich zu beißen, als er mich erkennt und in der Bewegung innehält.

 

Sofort wird er von den Kriegern, die die Gelegenheit ausnutzen, grob weiter gerissen. Wütend versucht er einem von ihnen mit der Hinterhand zu treten, doch dieser weicht geschickt aus und versetzt ihm einen Stoß, der den Mustang stürzen lässt, da er mit beiden Hinterhufen nach dem Bewaffneten schlug und auf der Vorderhand nicht das Gleichgewicht halten konnte.

 

Kaum lag er am Boden werfen sich die Männer auf ihn und halten ihn grob fest. Mit Tränen ich den Augen sehe ich dem Schauspiel zu und höre das verzweifelte Wiehern meines treuen Begleiters. „Hört auf! Lasst ihn los!“ Ich kreische schon fast, doch das ist mir in diesem Moment egal.

 

Verwirrt sehen mich die vier Soldaten an und Schotaker macht sich diese Verwirrung auch sofort zu nutze. Mit dem Kopf schlägt er nach einem, während er einem anderen hefig in den Arm beißt. Der Erste sinkt bewusstlos zu Boden während er andere einige Schritte zurück taumelt und sich jaulend den Arm hält. Verständlich, Pferdekiefer sind enorm Stark und es würde mich wundern, wenn der Arm nur einmal gebrochen ist. Schotaker wälzt sich herum und trifft einem Weiteren mit dem Hinterbein am Kopf, der daraufhin ebenfalls das Bewusstsein verliert. Der vierte hat es noch geschafft sich in Sicherheit zu bringen. Es ist der, der mich vorhin gewarnt hat.

 

 „Schotaker“,  ich flüstere ich ungläubig. Wie kann er hier sein? Den Beweis dafür, dass er tatsächlich da ist erhalte ich wenige Augenblicke später. Der Mustang hat sich wieder aufgerappelt  und kommt nun langsam auf mich zu und berührt mich sanft mit den Nüstern an der Schulter. Wie als hätte er mit dieser leichten Berührung einen Damm gebrochen, beginne ich leise zu schluchzen und schlinge beide Arme um den Hals des Hengstes. Tief atme ich den Geruch nach Pferd, dem fruchtbaren Boden am Missouri, der Wildnis und der Freiheit ein.

 

„Kennt ihr dieses Biest?“, fragt mich der, der von dem Angriff verschont geblieben war und sich nun wieder näher heran wagt.

 

 „Ja er ist mein Mustang“, sage ich knapp wobei ich >Mustang< besonders betone. Für eine patzige oder ironische Antwort bin ich gerade viel zu glücklich.

 

 „Was… was war das… denn eben?“, keucht Minuial und betrachtet die Soldaten erschrocken.

 

„Schotaker wie er leibt und lebt“ erwidere ich trocken. Entsetzt sieht sie den Apfelschimmel an.

 

„Ist…ist das…deiner?“, fragt sie stockend und ich nicke stolz. Hinter ihr stehen El und Ro- Elladan und Elrohir haben mir, kurz nachdem wir uns auf den Balkon gesetzt hatten, angeboten sie so zu nennen - und sehen Schotaker bewundernd an.

 

Minu, die sich mittlerweile wieder etwas beruhigt hat, fragt nun: „Soll ich dir eine Box zeigen in der du das Mist… den Hengst unterbringen kannst?“, glücklich nicke ich. Ich hatte mir noch keine Gedanken über das Unterbringungsproblem gemacht und bin froh, dass mir das nun abgenommen wird. Daher höre ich auch großzügig über ihren Ausrutscher.

 

Auf dem Weg zum Stall bin ich in Gedanken ganz bei dem Wiedersehen zwischen Schotaker und mir. Die beiden Lausbuben plappern derweil munter auf mich ein und ich nicke, wenn ich glaube, dass es von mir erwartet wird, doch zuhören? – nein, das tue ich nicht.

 

Dass wir im Stall und vor allem an der richtigen Box angekommen sind, merke ich erst, als ich in Minu hineinlaufe. Wir beide schreien kurz erschrocken auf und ich versuche sie fest zu halten - mit dem Erfolg, dass wir beide, begleitet von dem kichern der Zwillinge, auf dem Boden landen.

 

Hastig springe ich auf und ziehe sie mit hoch „Tut mir leid, ich war in Gedanken.“ Hastig stottere ich noch einige weitere Entschuldigungen. „Schon gut, ist ja nichts passiert“, unterbricht sie mich sanft. Plötzlich ändert sich ihr Ausdruck - nun grinst sie mich frech an. „Du bist rot wie eine Tomate!“ kichert sie. Sofort werde ich noch roter, war ja klar. Sie hält sich die Hand vor den Mund, um ihr kichern zu unterdrücken, zumindest tut sie so, jedenfalls sind ihre Mühen mit wenig Erfolg gesegnet.

 

 „Du kannst… ihn… hier rein stel…len“, keucht sie zwischen Kicheranfällen.

 

Erst jetzt werde ich wieder auf Schotaker aufmerksam, der mir die ganze Zeit brav gefolgt war und unseren Zusammenprall misstrauisch und schließlich definitiv belustigt beäugt hatte. Nun inspiziere ich seine potentielle neue Box. Sie ist geräumig, das Stroh ist frisch und sauber, der Wassertrog ist mit klarem Wasser gefüllt und das Futter erscheint mir auch nicht schlecht.

 

 „Na Großer, was meinst du, wirst du`s für ´ne Weile hier aushalten?“ frage ich an Schotaker gewandt dieser schnaubt zustimmend und hält seine Nase in die Box. „Wieso aushalten? Unsere Ställe sind immer in tadellosen Zustand!“, empört sich Minu, die es endlich geschafft hat, mit ihren kicheranfällen fertig zu werden und das, obwohl sie eigentlich überhaupt nichts mit den Ställen zu tun hat. „Schotaker war noch nie lange in einer Box - höchstens ein paar Stunden. Er ist ein Wildpferd und kennt nur die endlosen Prärien und Wälder, ohne Zäune“, erkläre ich ihr.

 

„Ist er eigentlich gezähmt?“

 

Ich schüttle den Kopf „Er gehorcht mir unserer Freundschaft wegen“

 

Etwas zupft an meinem Ärmel und unterbricht unseren Dialog. Verwundert sehe ich nach unten - direkt in die Augen Elladans, der mich mit seinem besten Bettelblick ansieht. Ist ja klar was jetzt kommt und tatsächlich: „Erzählst du uns von deinem Zuhause? Biiiiiitteeee bitte“ Ich ringe eine Weile mit mir. Ich möchte meine Erinnerungen nicht teilen. Ich habe das Gefühl sie wären dann aus irgendeinem Grunde weniger wert. Doch diesem Blick kann ich nicht standhalten, also gebe ich nach. „Na gut. Aber erst morgen.“ Die Zwillinge brechen sogleich in Jubel aus, was einige Pferde nervös schnauben lässt, und beginnen um mich herum zu hüpfen.

 

„Hört auf“ befielt Minuial streng.

 

Mit einem Schnauben macht Schotaker auf sich aufmerksam.

 

„Ja, ja Großer, ich vergess´ dich schon nicht.“ Schnell öffne ich die Boxentür und Schotaker läuft freudig hinein. Ich beschließe noch eine Weile bei ihm zu bleiben.

 

Als ich wieder aus dem Stall komme, sind Minu und die Kinder sind bereits gegangen. Achselzuckend laufe ich los, irgendwie werde ich meine Wohnung schon finden. Bald komme ich an eine Kreuzung mit vier Gängen. Kurz entschlossen gehe ich nach links. Bald darauf stehe ich vor einer Wand. Nee, da komme ich nicht weiter. Naja egal, mich von diesem Fehlschlag nicht entmutigen lassend gehe ich zurück und probiere jeden Flur aus – jedes Mal mit demselben Ergebnis. Endlich wieder an der Kreuzung angekommen, entschließe ich mich geradeaus zu gehen. Wieder gehe ich nach demselben Prinzip vor.

 

Nach einer Weile höre ich Schritte, die immer näher kommen. „Was macht ihr hier?“ Es ist der mit den Wolfsaugen, Erestor, glaub ich.

 

„Ich war bei den Ställen und bin nun auf der Suche nach meiner Wohnung“, gebe ich bereitwillig Auskunft. Für einen Augenblick glaube ich ein belustigtes aufblitzen in seinen Augen zu sehen, doch es verschwand so schnell, dass ich mir nicht sicher bin, dass es tatsächlich da war.

 

„Soll ich euch zu eurem Zimmer führen?“ bietet er hilfsbereit an.

 

 „Dafür wäre ich euch sehr dankbar.“ Irgendwann hätte ich mein Zimmer zwar vermutlich gefunden, aber das hätte ewig und drei Tage gedauert!

 

Auf dem Weg fällt mir auf, dass er merkwürdig geht. Er bewegt sich zwar geschmeidig, hält aber den Rücken extrem gerade, naja steif trifft´s ehr. Es scheint eine Verletzung zu sein, jedoch eine Alte, denn er zeigt nicht die geringsten Anzeichen von Schmerzen. Eine Rückenverletzung… entweder hat er allein gegen sehr viele kämpfen müssen und wurde dabei erwischt, er war unaufmerksam und somit ein schlechter Kämpfer oder er ist ein Feigling, der einem Gegner den Rücken zu gedreht hatte, um zu fliehen. „Wie kam es zu eurer Rückenverletzung?“, frage ich neugierig. Erestor zuckt kurz zusammen und antwortet etwas zu schnell und mit belegter Stimme: „Ich weiß nicht wovon ihr sprecht“ Da es eindeutig ist, dass er darüber nicht reden will, lasse ich das Thema mit einem Achselzucken fallen und wir setzen unseren Weg schweigend fort. Artig bedanke ich mich, als wir bei meiner Wohnung ankommen und gehe hinein.

 

Erleichtert lehne ich mich an die Tür. Endlich wieder zu Hause. Ich wundere mich ein wenig, dass ich diese Zimmer schon als mein Zuhause betrachte. Einige Sekunden später denke ich jedoch schon wieder an den schwarzhaarigen Diplomaten. Es wundert mich schon, dass er sich so merkwürdig verhalten hat. Entschieden schüttle ich diese Gedanken ab. Ich habe schon genug andere Probleme, da brauch ich mich nicht auch noch um die anderer kümmern!

 

Um mich abzulenken suche ich mir ein Kleid für heute Abend aus. Es gibt ein Rotes mit einem Muster, das ich nicht erkennen kann. Wirklich Gefallen tut es mir nicht. Das nächste, ein Lilianes, scheidet auch aus. Es hat solche komischen Stangen im Rock, die Dinger haben so ´nen komischen Namen Reif-irgendwas. Viel zu unpraktisch. Das letzte ist dunkelblau- dieses klassische nachtblau. Silber Fäden und glänzende Steine bilden komplizierte Muster. Dennoch scheint es so, als könnte ich mich damit verhältnismäßig gut bewegen. Die Verzierungen erinnern mich an den Sternenhimmel in der Prärie, an die Nächte in denen ich mit Schotaker weite Ausritte unternommen und der Natur gelauscht habe. Vor allem erinnert es mich an die Freiheit. Versonnen streiche ich über das Kleid und gebe mich den Erinnerungen hin.

 

D

 

Aufmerksam sehe ich mich um - alle schlafen. Leise schiebe ich ein Bündel mit Essen und Trinken unter der Plane hindurch, dann meinen Bogen und den gefüllten Köcher. Meinen Dolch trage ich sowieso an einer Kordel um den Hals. Zuletzt rolle ich mich selbst flink hindurch.

 

Lautlos wie ein Schatten husche ich zur Koppel. Sobald Schotaker mich entdeckt trabt er auf mich zu. Bei mir angekommen setzt er zu einem Wiehern an. Schnell lege ich ihm eine Hand auf die Nüstern.

 

„Shh“, mache ich leise und Schotaker verhält sich sogleich vollkommen still und achtet sogar darauf, nicht zu geräuschvoll aufzutreten. Ich führe ihn in der Nähe von Hapedah aus dem Lager. Ihn hatte ich mit meinem Hundeblick dazu gebracht mich durchzulassen und einfach zu ignorieren. Meinen Eltern hatte ich ein sprechendes Leder, die weißen nennen sowas Brief, hinterlassen, damit sie sich nicht allzu viele Sorgen machen.

 

Ich möchte wissen wo mein Stamm früher lebte und wo Mattotaupa - mein Großvater – erstochen und mein Vater gefangen gehalten wurde. Ich will über den Missouri zu den Black Hills, zum Reservat zwischen dem White-River und dem Niobrara in den Bad Lands. Am Niobrara ist auch das Fort in dem  Tokei-ihto gefangen gehalten wurde und dort stand auch das Blockhaus in dem Mattotaupa ermordet wurde. Als nächstes werde ich dann zum Horse-Creek reiten, wo einst das Sommerlager der Bärenbande stand und zurück nehme ich die Strecke, die mein Vater unseren Stamm führte. Am Missouri angekommen steige ich ab und genieße ein wenig die Nacht. Die Luft ist klar, rein und riecht würzig und nach der Freiheit. Sie ist erfüllt vom Rauschen des Windes im hohen Gras und dem Tosen des Hochwasser führenden Missouris. Von weither sind die Schreie zweier kämpfender Raubkatzen, das kläffen eines Kojoten und das einsame Heulen eines Wolfen, das bald von einem anderen beantwortet wird, zu hören. All das wird fast von dem lauten Zirpen der Grillen übertönt. Tief die würzige Luft einatmend betrachte ich den Sternenhimmel. >Freiheit< ist mein einziger Gedanke. Einen lauten Kriegsschrei ausstoßend schwinge ich mich auf Schotakers Rücken und treibe ihn an.

 

Schnell wie der Wind fliegen wir über die endlosen Weiten der Prärie…

 

D

 

Ein Klopfen reißt mich aus meinen Erinnerungen. „Herein“, rufe ich eilig und schmeiße das Kleid aufs Bett. Wie ich fast schon erwartet habe, kommt Minu ins Zimmer.

 

Ohne eine Begrüßung fällt sie mit der Tür ins Haus: „Hast du dir schon ein Kleid ausgesucht? Lord Erestor hat mich gebeten dich abzuholen. Darf ich mich um deine Haare kümmern? Und-“

 

 „Minu!!“ unterbreche ich sie lachend. Fragend sieht sie mich an „Du redest wie ein Wasserfall! So schnell kann ich nicht antworten!“ Wie auf Kommando wird sie knallrot und ich bekomme einen noch heftigeren Lachkrampf. Schnell beherrsche ich mich jedoch wieder, es ist ihr sicher  auch so schon peinlich genug.

 

„Ich habe mir das ausgesucht“- ich deute auf das blaue Kleid- „Danke, dass du mich abholst, ich sehe keinen Grund dazu etwas an meinen Haaren zu ändern. Und kommst du nicht ein Bisschen früh?“, antworte ich auf ihre Fragen.

 

Meine Haare sind doch gekämmt, ich habe sie sorgfältig geflochten und sogar die Schlangenhaut gereinigt, die mir als Stirnband dient.

 

„Keinen Grund?!“ Entsetzt sieht mich Minuial an „So kannst du nicht gehen!“ Ratlos sehe ich sie an. Was ist denn so schlecht an meiner Frisur?

 

„Mach doch was du für richtig hältst“, gebe ich ihrem glühenden Blick nach. Das ist schließlich meine einzige Möglichkeit heraus zu finden, was denn nun ihrer Meinung nach die richtige Frisur ist und was an meiner so schlecht ist.

 

Zufrieden grinst sie mich an und legt los. „Zieh dir als erstes das Kleid an!“, befiehlt sie mit einer Autorität, die ich ihr niemals zugetraut hätte. Ich schnappe mir also das Kleid  und verschwinde damit im Bad.

 

Als ich wieder rauskomme hat sie in die Mitte des Raumes einen Stuhl gestellt und daneben ein Tischchen, auf dem jede Menge glitzerndes Zeugs liegt, dass man sich vermutlich in die Haare machen soll. Wie?- Das ist mir ein Rätsel.

 

Entschieden drückt Minu mich auf den Stuhl und fängt, nachdem sie die Zöpfe gelöst hat, an, mich zu kämmen. Dann geht’s mit dem ganzen Zeugs los.

 

Nach Ewigkeiten ist sie endlich fertig. Jetzt weiß ich auch, warum sie so früh kam. „Hier. Gefällt’s dir?“ Mit diesen Worten drückt sie mir einen Spiegel in die Hand. Ich erkenne mich selbst kaum wieder! Wirklich gefallen tut mir nicht, was sie mit mir angestellt hat, es ist einfach viel zu viel. Ich sehe aus wie eine dieser Vornehmen reichen Gören aus den Städten. Ich bevorzuge eine klare Schlichtheit.

 

„Ich finde es wunderschön“, behaupte ich. Stimmt zwar nicht ganz, aber Minu ist glücklich und ich muss diese Prozedur nicht noch einmal über mich ergehen lassen.

 

„Das ist gut! Hätte es die nicht gefallen hätte ich es gerne noch einmal neu gemacht.“ Bloß nicht!

 

„Komm gehen wir“, fordert sie mich nach einigen Augenblicken auf.

 

Wir irren mal wieder ewig durch die Gänge und ich habe, wie üblich hier, keine Ahnung, wie ich zurückkomme. Vor uns öffnen zwei Diener die gigantische Flügeltür. Mit aufgerissen Augen bleibe ich stehen…

 

 

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