Kapitel 18

Ausflug und Höhlenforschung

 

Trotz der unheiligen Kombination aus Aurora und mir, geschieht an diesem Tag nichts Besonderes, obwohl ich immer noch von einem missgelaunten Valar verfolgt werde und Aurora keine Unterstützung von höheren Mächten braucht, um Unheil anzurichten.

 

Ich stehe vor Sonnenaufgang auf, esse, um Aurora nicht zu wecken, in der Küche gemeinsam mit Nille, die sich später ein wenig um Aurora kümmern wird, sie wecken, ihr essen bringen, ihr beim Anziehen helfen, und sie schließlich zu mir auf den Platz bringen wird.

 

Aurora kommt mit der Rüstung, die ich ihr geschenkt habe, dem Schwert, dem Bogen mitsamt dem Köcher mit den Pfeilen und einer Nille, die mit den Nerven am Ende ist, auf den Platz.

 

Nach einem langen Wortgefecht hole ich schließlich noch eine Schießscheibe und stelle sie vier Yards vor die Linie, damit Aurora auch schießen kann, beim Schwertkampf fechten einige der Rekruten mit ihr – sie lassen sie selbstverständlich gewinnen und beim wieder aufwärmen nach der großen Pause rennt sie die das erste Stück mit, dann nehmen Lirulin und ich sie abwechselnd auf die Schulter.

 

Nach dem Training machen wir einen kleinen Spaziergang, essen Abendbrot und gehen dann ins Bett. Vor dem Schlafen muss ich ihr natürlich noch die Obligatorische Gute-Nacht-Geschichte vorlesen.

 

D

 

Nach gut zehn Stunden Schlaf schlage ich die Augen auf und betrachte die beigen Bettvorhänge. Dann kuschle ich mich tiefer in das warme Bettzeug und beschließe noch etwas liegen zu bleiben. Ehe ich mich versehe fallen mir auch schon die Augen zu und ich öffne sie erst eineinhalb Stunden später wieder, weil eine bestimmte junge Lady mich weckt.

 

„Morgen“, nuschle ich etwas verschlafen „Ausgeschlafen?“

 

Sie nickt eifrig. „Wwas machen wir heute?“

 

„Einen Ausritt. Und jetzt lass mich aufstehen.“ Sie rückt etwas von mir ab und ich klettere aus dem Bett und verschwinde, nachdem ich mir praktische Reitkleidung aus dem – nun ordentlichen - Schrank genommen habe, im Bad.

 

Nachdem ich mit der üblichen Morgentoilette fertig bin, gehe ich in die Küche und hole unser Frühstück, sowie einige belegte Brote, die Nille auf meine Bitte hin gemacht hat.

 

Aurora isst wie gewöhnlich Müsli, dann suche ich ihren Umhang und zwei Handtücher heraus und packe sie gemeinsam mit den eingewickelten Broten und meinem eigenen Umhang in meine Umhängetasche. Aus dem Obstkorb auf der Kommode nehme ich noch drei Äpfel und packe sie ebenfalls in die ledernde Umhängetasche, die ich aus der Haut eines Hirsches, den ich geschossen habe, hergestellt habe. Indem ich sie mit einem Gemisch aus verschiedenen Ölen und Bienenwachs eingerieben habe, habe ich sie Wasserfest gemacht, wobei diese Mischung nicht nur das Wasser abhält, sondern auch das Leder glatt und geschmeidig hält. Auf die Rückseite habe ich mit Angreninaurs Hilfe meinen Totem, den Puma, eingebrannt.
Ich gehe zu der Vitrine, die mir als persönlicher Waffenschrank dient und hole meine Waffen heraus. Ich kremple die Ärmel meiner Tunika hoch und schnalle mir  die doppelte Scheide mit den kleinen Wurfmessern um den Arm. Rasch tue ich dasselbe bei dem anderen Arm.

 

Danach ziehe ich mir die hellen Wildlederstiefel an, im Rechten befindet sich eine integrierte Scheide für den Dolch, im Linken das Holster für meinen Revolver und zwanzig Patronen, wobei ich hoffe, sie nicht benutzen zu müssen.

 

Als ich den Revolver einmal Angreninaur gezeigt habe, war er hellauf begeistert. Er versucht noch immer sie nachzubauen, doch entweder splittert der Lauf, der Hammer löst keinen Schuss aus oder die Kugel fliegt, warum auch immer, nicht geradeaus. Doch immerhin ist er in der Lage Patronen herzustellen, nachdem er eine von meinem auseinander genommen hat. Ich frage mich noch immer, warum, bei Morgoth, die Elben hier Schwarzpulver haben.

 

Zuletzt lege ich noch den Schwertgürtel um, dann bin ich fertig.

 

Seit ich den Fußabdruck des Balrogs in dem niedergebrannten Dorf gesehen habe, verlasse ich Imladris nicht mehr unbewaffnet und sei es ein noch so kleiner Ausflug, obwohl ich weiß, dass ich einen Balrog mit meinen Messern wohl nur ein wenig kitzeln würde. Und ehe ich ihn, wie es Glorfindel einst gelang, mit meinem Schwert verwunden kann, hätte mich wahrscheinlich schon seine Flammenpeitsche erwischt. Die größte Chance hätte ich wohl mit dem Revolver, der mit Kaliber .460 eine Menge Schaden anrichten kann.

 

Auf dem Weg zu den Ställen redet Aurora ununterbrochen auf mich ein. Es freut mich sie so glücklich zu sehen.

 

„-und dann hat Niqesse mich geputzt. Ihre Zunge ist ganz rau, das fühlt sich lustig an.“ Sie kichert und auch ich muss leise lachen.

 

Ich verlangsame meinen Schritt etwas, bis ich hinter ihr laufe. Überraschend bücke ich mich und hebe das noch immer fröhlich vor sich hin plappernde Kind hoch. Fröhlich quietscht sie auf und beginnt zu zappeln. Ich halte sie unter den Armen und drehe mich schnell um die eigene Achse. Schon kurz nachdem sie adoptiert hatte, habe ich herausgefunden, dass sie das liebt und auch jetzt quietscht sie freudig.

 

Einige Elben kommen vorbei. Ihr leises Lachen lasst mich innehalten.

 

„Guten Morgen“, grüße ich höflich, als ich unter ihnen Lord Elrond erkenne.

 

„Ebenfalls einen Wunderschönen guten Morgen, Sureto“ erwidert dieser lächelnd und tritt näher an Aurora heran.

 

Elrond hat sich, nachdem sie hier eintraf, viel um sie gekümmert, nicht blos um ihre Körperlichen Verletzungen, sondern auch um die Seelischen. Sie vertraut ihm und dass sie jetzt wieder lachen kann, ist wohl größtenteils sein Verdienst.

 

Fordernd streckt Aurora die Arme noch Elrond aus. Vorsichtig nimmt dieser sie mir ab. Wenn ich so etwas wie eine Mutter bin und Lirulin der Vater, dann ist Elrond der Onkel, wahlweise auch Opa.

 

Aurora klammert sich fest an Elrond, flüstert ihm etwas ins Ohr, dass ihn zu lachen bringt, dann verlangt sie wieder abgesetzt zu werden.

 

„Bis bald“, verabschiede ich mich mit einer angedeuteten Verbeugung.

 

„Bis nachher“, kräht auch Aurora, lehnt sich vor und drückt Elrond einen dicken Schmatz auf die Wange. Amüsiert lachen die anderen Elben auf und auch der Lord und ich allen mit ein. Etwas verwirrt sieht Aurora uns an. Deutlich ist auf ihrem Gesicht die Frage abzulesen, was denn so lustig ist.

 

„Komm tithen Lothhen nin“ (meine kleine Antilope)*13

 

„Gehen wir zu Soti?“, als sie diesen Name das erste Mal sagte, konnte ich nichts damit anfangen, doch schließlich hat sie geschafft mir klarzumachen, dass sie Schotaker meinte, den Namen jedoch nicht aussprechen kann.

 

„Ja wir gehen zu Schotaker und wir machen einen schönen langen Ausritt.“ Dass ich ihr vorhin bereits sagte, dass wir einen Ausritt machen würden hat sie scheinbar schon wieder vergessen. Fröhlich hüpft sie vor mir her.

 

„Oh sieh mal!“, ruft sie aufgeregt, als wir aus dem Haus ins freie treten.

 

Soronhen, der sein Leben ganz den Vögeln gewidmet hat, steht in der Mitte eines kleinen Platzes und lasst einen Gerfalken (weiß mit schwarzen sprenkeln) Kunststückchen vorführen.

 

Grade stürzt sich der Falke blitzschnell zu Boden. Gespannt halte ich, ohne es zu wollen, die Luft an. Wenige Zoll vor dem Aufprall breitet der Falke die Flügel aus und fängt sich ab. Elegant nutzt er den Schwung und fliegt eine kleine Schleife.
Begeistert klatschen die Zuschauer, die sich in erstaunlicher Zahl versammelt haben und den kleinen Platz vollkommen ausfüllen.

 

Der Falke lässt sich währenddessen auf dem, von einem dicken Lederarmschützer geschützten, rechten Arm von Soronhen nieder. Kurz schlägt er mit den schwarz-weiß gemusterten Flügeln, um sein Gleichgewicht zu halten. Dann faltetet er sie zusammen uns Schreit auffordernd. Aus einem Beutel zieht der Falkner eine tote Maus und wirft sie hoch. Blitzschnell stößt sich der Falke ab und ich sehe, wie der muskulöse Arm Soronhens runtergedrückt wird. Der Falke schießt auf die Maus zu  und packt sie mit seinen kräftigen Klauen. Dank meiner Elbenaugen sehe ich, wie sich die scharfen Klauen in das Fleisch der Maus bohren.

 

Wieder landet der gesprenkelte Vogel auf dem Arm des Falkners, wobei er sich jetzt freilich nur noch mit einer Klaue festhalten kann, in der anderen hält er die tote Maus, die nun mit Genuss zu verschlingen beginnt. Als er den Kopf hebt um nach möglichen Futterneidern Ausschau zu halten, sehe ich den Blutrot glänzenden Schnabel. Sobald er sieht, dass keine Gefahr besteht, senkt er wieder den Kopf und frisst weiter.

 

„Suri, können wir weiter“, erklingt Auroras leicht zitternde Stimme neben mir. Ich sehe auf sie hinab, ihre blauen Augen sind ängstlich geweitet und starren auf den fressenden Vogel.

 

„Natürlich Lothhen nin“, rasch nehme ich sie auf den Arm und drehe mich dabei so, dass sie den Falken nicht mehr sieht. Sie schlingt beide Arme fest um meinen Hals und verbirgt das Gesichtchen an meiner Schulter. Beruhigend streiche ich ihr über den Rücken, habe allerdings nur mäßigen Erfolg. Mit weit ausgreifenden Schritten gehe ich weiter in Richtung der Ställe und ich hoffe, dass sie Schotakers Nähe beruhigt.

 

Meine Hoffnung wird erfüllt. Kaum sieht die den Hengst quietscht sie freudig auf. Ich öffne die Boxentür und gehe  hinein.

 

Wieder einmal stelle ich fest, wie sorgfältig sich die Stallburschen um die Tiere kümmern, das Futter ist frisch, das Wasser sauber und das Stroh erst vor kurzem ausgewechselt. Anders als die anderen Pferde haben sie Schotaker jedoch nicht striegeln können. Als einer es einmal versucht hat, musste er mit einer schweren Bisswunde zu einem Heiler gebracht werden, seitdem hat es keiner mehr versucht.  
Zu meiner Überraschung hat Schotaker Aurora sofort akzeptiert. Nun freut es mich beobachten zu können, wie der Apfelschimmel den Kopf senkt und sich mit geschlossenen Augen die Stirn kraulen lässt. Ich sehe den Beiden kurz zu, dann nehme ich die Bürste und beginne ihn zu striegeln. An sich wäre es nicht nötig gewesen, doch es festigt die ohnehin schon feste Bindung zwischen Schotaker und mir. Der Haltung des Hengstes nach befindet er sich momentan im Himmel auf Erden – verständlich ihm wird die Stirn gekrault, Aurora gibt ihn zusätzlich grade einen Apfel und er wird gestriegelt – was will ein Pferd mehr?

 

Bald glänzt sein Fell so sehr, dass ich beim besten Willen keinen Grund mehr finde ihn weiter zu striegeln. Ich hebe Aurora auf Schotakers Rücken, der zuckt nicht mit einer Wimper, und lege ihn die Zügel an, die ich noch immer einfach an dem mit Federn verzierten Kinnriemen befestige.

 

Schotaker geht ohne Aufforderung aus der Box, ich schließe die  hölzerne Tür hinter ihm und schwinge mich dann hinter Aurora auf den Pferderücken. In zügigem Schritt reiten wir aus dem Stall. Jetzt im Sommer stehen die beiden Tore – eins Frone, eins hinten – immer weit offen.

 

Kaum dass wir das vordere Tor passiert haben, fällt Schotaker von sich aus in einen kurzen Galopp. Bald darauf tauchen wir in den Satten des Waldes ein. Es ist bereits Anfang Iavas*11 und die Blätter färben sich bunt.

 

Ich liebe diese Jahreszeit. Es ist weder heiß noch kalt, das Laub färbt sich bunt, was schon immer einen ganz besonderen Zauber auf mich ausgeübt hat. Ich weiß noch, wie ich als Kind zusammen mit meiner Mutteraus Kastanien und Stöckchen kleine Männchen mit Kleidung aus buntem Laub gebastelt habe, eine Erinnerung, die ich auch Aurora schenken möchte.

 

Ein Eichhörnchen rennt vor uns über den Weg und klettert flink auf einen Baum.

 

„Süüüß“, quietscht Aurora und klatscht begeistert in die Hände. Wie zur Antwort wirft Schotaker den Kopf zurück. Ich könnte schwören, dass sein Wiehern wie ein befreites Lachen klingt. Er streckt sich noch etwas mehr und macht wie ein verspieltes Fohlen ein paar Luftsprünge. Auch er liebt den Beginn des Herbstes.

 

Verspielt tollt er herum. Lachend und quietschend klammert sich Aurora an seiner langen Mähne fest während ich jubeln die Arme hochreiße, sie jedoch rasch wieder herunternehme und mich ebenfalls an der Mähne festhalte, als der  Apfelschimmel übermütig mit den Hinterhufen ausschlägt. Er geht noch einmal mit allen vieren in die Luft, ehe er mit wirbelnden Hufen losprescht.

 

In vollen Zügen genieße ich den wilden ritt. Dennoch bin ich ein wenig erleichtert, als er sein Tempo wieder verlangsamt, es war nicht ganz leicht mich selbst und das Kind sicher auf seinem Rücken zu halten.

 

Mit einem sanften Schenkeldruck lenke ich Schotaker auf einen schmalen Waldweg, der so zugewuchert ist, dass er fast unsichtbar ist. Etwa zehn Minuten folgen wir dem Pfad, ehe er sich zu einer herrlichen Lichtung öffnet. Leicht ziehe ich an den Zügeln und mache mich schwer. Schotaker wechselt von dem kraftsparenden kurzen Galopp in leichten Trab und in den Schritt, ehe er schließlich stehen bleibt.

 

Geschickt lasse ich mich zu Boden gleiten und hebe auch Aurora von dem Pferderücken. Als ich sie auf den moosbewachsenen Waldboden stellen will, kicken ihr die Beine weg und nur mein rasches Zupacken verhindert, dass sie zu Boden fällt. Behutsam halte ich sie fest. Erst als ich sicher bin, dass ihre Beine sie wieder tragen, lasse ich sie los. Es wundert mich nicht, dass so unsicher ist, wir sind schließlich fast zwei Stunden geritten, noch dazu im Galopp. Sie ist erst einmal so lange geritten und dass war am Tag des Massakers.

 

Etwas steifbeinig tappt sie über die Lichtung. Sie entdeckt ein Blümchen, fasziniert geht sie in die Hocke,  wobei sie freilich vergisst, dass ihre Beine sich noch nicht so richtig daran gewöhnt haben, sie wieder tragen zu müssen und sie hintenüberkippt.

 

Leicht grinse ich in mich hinein, ehe ich mich bücke, um einige Kastanien aufzulesen. Ich lasse sie in meine Tasche gleiten und breite dann die Decke auf einer ebenen Stelle der Lichtung aus und lege die mitgebrachten Brote und Äpfel darauf.

 

Aurora hat mittlerweile das Interesse an dem Veilchen verloren und jagt stattdessen einen Schmetterling. Lächelnd lehne ich mich zurück und stütze mich auf die Unterarme, um sie zu beobachten. Etwas zupft an meinem Haar. Als ich den Kopf in den Nacken lege, um den Störenfried zu sehen, bläst Schotaker mir seinen warmen Atem ins Gesicht. Leise lache ich und puste ihn meinerseits an. Er zuckt zurück und schüttelt den großen Kopf, ehe er wieder den Kopf senkt und mir ins Gesicht schnaubt.

 

Lachend rolle ich mich weg und stehe auf. Mit einem raschen Rundblick mache ich Aurora ausfindig. Der Schmetterling ist ihr entkommen und nun steht sie an dem Bach, der am Rand der Lichtung entlangfließt. Sie hockt sich hin und hält erst einen Fingen ins Wasser und dann die ganze Hand. Sie tastet nach irgendetwas. Gleich darauf zieht sie die Hand wieder aus dem Wildbach, in der Hand eine kleine Muschel.

 

„Suri? Kann ich die mitnehmen?“,  ruft sie aufgeregt und wedelt mit der Muschel vor meiner Nase herum.

 

„Ob du das kannst, weiß ich nicht.“ Verdattert sieht sie mich an. „Aber du darfst“, füge ich hinzu. Damit ist für mich das Thema beendet.

 

„Willst du Schwimmen gehen?“ Sie nickt dass ihre blonden Locken nur so fliegen. „Na dann mal los“ So früh im Herbst ist es noch angenehm warm und auch das Wasser ist noch nicht zu kalt.

 

Rasch ziehen wir unsere Sachen aus und legen sie auf die Decke, dann hüpfen wir auch schon ins kühle Nass. Aurora quietscht auf, als das Wasser, das direkt aus dem Nebelgebirge kommt, ihren kleinen Körper umspült. Auf einmal holt die Kleine aus und spritzt mir das Wasser ins Gesicht. Ich schnappe nach Luft und muss einem begossenen Pudel recht ähnlich sehen, jedenfalls krümmt sich Aurora vor Lachen.

 

„Na warte“, grolle ich alles andere als ernst und gebe mir alle Mühe bedrohlich auf sie zuzugehen. Sie quiekt und rennt weg, wobei sie es nicht versäumt mir noch einige Ladungen Wasser ins Gesicht zu spritzen.

 

„Kriegst mich nicht, kriegst mich nicht“, kräht sie übermütig. Mit weit ausholenden Schritten platsche ich hinter ihr her und hab sie entgegen ihrer Behauptung auch schon bald eingeholt. Ich packe das strampelnde Kind unter den Armen und hebe sie hoch. Wie ein Aal windet sie sich und beinahe wäre sie mit runtergefallen.

 

„Siehst du, hab dich doch erwischt!“, triumphiere ich leicht keuchend, das Wasser ist kälter, als ich erwartet hätte. Sie zieht einen Flunsch und dreht mir den Rücken zu, kaum dass ich sie abgesetzt habe. Sogleich erregt etwas anderes ihre Aufmerksamkeit: der etwa zweieinhalb Yards hohe Wasserfall vor dem wir stehen.

 

„Ich will da hoch!“, verlangt sie energisch.

 

„Da hoch?“, hake ich nach.

 

„Ja, da hoch!“ Bei dem Wort ‚hoch‘ stampft sie bekräftigend mit dem Fuß auf, wobei das Wasser in alle Richtungen spritzt.

 

„Na gut, halt dich oben fest“, damit hebe ich sie so hoch, dass sie sich mit den Händen an der Oberkante festhalten kann. In Fällen wie diesem bin ich froh, dass meine Körpergröße über dem Durchschnitt*12 liegt.

 

Vorsichtig schiebe ich sie weiter hoch und schließlich verschwinden ihre Beine über der Kante. Hoffentlich kommt sich nicht gleich zurück! Mit den Fingern taste ich sorgsam die Kante ab, bis ich einen festen Halt habe, dann ziehe ich mich mit einem kräftigen Klimmzug nach oben.

 

Nun sehe ich, dass es nicht nur diesen einen Wasserfall gibt. Tatsächlich war der, den wir erklommen haben, der letzte in einer Reihe kleinerer Wasserfälle. Einige sind nur wenige Zoll hoch, andere beinahe drei Yards doch im Vergleich zu denen, die sich in das Tal von Imladris ergießen, sind diese hier winzig.

 

„Ich will nach ganz, ganz oben“, fordert Aurora mit leuchtenden Augen.

 

„Na gut“, seufzte ich nicht sonderlich begeistert. Dann gehe ich voraus zu dem nächsten Wasserfall. Diesen  und noch einige weitere können wir mit einem Schritt überwinden, nur über einen muss ich Aurora hinüberheben. Auch der Fluss im Allgemeinen ist nicht tief, das Wasser reichte selbst Aurora an der tiefsten Stelle kaum bis zur Hüfte.

 

Auch die nächsten Beiden stellen kein Problem dar, sie sind beide nicht mehr als eineinhalb Yards hoch, doch der darauffolgende stellt ein Hindernis dar. Kurz überlege ich, wie wir am besten hinaufkommen, da ja nicht nur die Felsen gefährlich rutschig und glatt sind, sondern auch das Wasser mit einer unglaublichen Kraft herunterrauscht. Wenn die Wassermassen hier schon so schmerzhaft auf die Haut prasseln, wie schlimm ist es dann erst bei den gigantischen Wasserfällen von Imladris? Vermutlich würde einen das Wasser faktisch erschlagen.

 

Ich bedeute Aurora zu bleiben, wo sie ist, gehe auf die linke Seite des Falls und beginne ihn abzutasten, doch der Fels ist von den Wassermassen glattgeschliffen worden und ich kann nicht die kleinste Erhebung oder irgendetwas, was als Halt dienen könnte ertasten. Auch wenn es sinnlos erscheint, taste ich mich Zoll für Zoll an der Wand entlang, doch ohne Erfolg.

 

„Was suchst du denn?“, fragt Aurora in einem nörgelnden Tonfall.

 

„Ich suche eine Stelle an der wir hochklettern können“, antworte ich grade laut genug, um den Wasserfall zu übertönen, ohne meine Bemühungen zu unterbrechen. Mittlerweile bin ich schon fast bei der Mitte angelangt und glaube langsam nicht mehr, an einen Erfolg, doch Aurora zuliebe mache ich weiter.

 

„Mir ist langweilig“, nun quengelt sie schon regelrecht.

 

Ich will grade zu einer besänftigenden Antwort ansetzen, als ich plötzlich ins Leere greife. Irritiert halte ich inne.

 

„Was ist?“, fragt Aurora sofort.

 

„Hier ist irgendetwas.“ Inzwischen habe ich begonnen mit beiden Händen den Hohlraum abzutasten. Ich kann einfach keine Rückwand ertasten!

 

Inzwischen ist Aurora herangekommen. Vorsichtig streckt auch sie die Hände aus.

 

„Vielleicht ist da ja eine Höhle!“ Ihre Wangen sich ganz rot vor Aufregung und in ihren Augen liegt ein erwartungsvolles Leuchten.

 

„Mal sehen“, meine ich genauso aufgeregt, wie Aurora. Ich tme tief ein und ducke mich nach kurzem Zögere unter dem Wasserfall hindurch. Schmerzhaft trommeln die Wassermassen auf meinen Kopf und meine Schultern, dann ist es auch schon vorbei. Ich stehe in vollkommender Dunkelheit. An dem Hall, den das Rauchen des Wassers verursacht kann ich in etwa die Größe abschätzen, außerdem gewöhnen sich meine Augen bereits an die Dunkelheit und ich kann einige Konturen ausmachen.

 

„Komm her Auri, aber pass auf, das Wasser tut echt weh!“

 

Ich höre wie Wasser auf Haut klatscht, ein leises „AU“ und dann erkenne ich den Umriss von Auroras neben mir.

 

„Ich sehe nichts“, jammert sie verunsichert.

 

„Warte etwas, dann gewöhnen sich deine Augen an die Dunkelheit. Lausche mal auf das Rauschen des Wassers“

 

„Mach ich, und jetzt?“

 

„Hörst du auch den Hall?“

 

„ja?“ Anscheinend versteht sie nicht, was ich von ihr will.

 

„Jetzt kannst du abschätzen, wie groß die Höhle ist. Was meinst du?“

 

Es dauert eine Weile bis sie antwortet: „Ich glaube, sie ist ziemlich groß“

 

„Genau. Sehen wir sie uns mal genauer an!“ Damit nehme ich sie bei der Hand und führe sie tiefer in die Höhle hinein.

 

„Achtung, hier sind Stalaktiten, duck dich!“

 

„Was ist das?“

 

„Ein Tropfstein, der von der Decke hängt“

 

Mittlerweile haben sich meine Augen sich völlig an die Dunkelheit gewöhnt und ich kann die Skulpturen aus Tropfsteinen bewundern. Mit etwas Fantasie erkenne ich einen Adler, zwei springende Delphine und einen wie zum Sprung geduckten Luchs. Leise mache ich Aurora darauf aufmerksam. Sie gibt einen bewundernden Laut von sich und streckt eine Hand nach der Steinformation aus. Rasch fange ich ihre Hand ab.

 

„Nicht anfassen! Er hat Jahrtausende gebraucht um zu wachsen. Du könntest ihn mit der kleinsten Berührung zerstören“, wispere ich. Warum ich so leise spreche weiß ich selbst nicht, vermutlich weil diese Kunstwerke der Natur mich ebenso wie Aurora mit Ehrfurcht erfüllen.

 

Rasch zieht sie ihre Hand zurück.

 

Wir wandern noch etwas durch die Höhle und stellen dabei fest, dass die Höhle gigantische Ausmaße hat.

 

„Mir ist kalt“, jammert die Kleine nach einer ganzen Weile.

 

„Mir auch, gehen wir“, stimme ich ihr zu. Ich brauche etwas Zeit um mich zu orientieren, der Wasserfall ist dabei auch keine große Hilfe, der Hall sorgt dafür, dass das Rauschen von überall zu kommen scheint.

 

Schließlich kommen wir aber wieder bei der Lichtung an, stärken uns mit den mitgebrachten Broten – die Äpfel hat Schotaker schon gefressen  - und reiten dann gemächlich zurück. Die warme Nachmittagssonne wärmt dabei unsere doch schon recht ausgekühlten Körper auf.

 

 

 

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